Martin Amanshauser

Portugiesische Galeeren, Hirnkoralle und Voodoo

Zwitscherndes Vogelparadies, tief tauchende Lederschildkröten, und ein Fort, das gar nicht existiert

Trinidad & Tobago, kurz T&T, der Antillen-Inselstaat an der venezoelanischen Küste, geriet in den Blickpunkt der Welt, als es sich vor vier Jahren als kleinstes Land aller Zeiten für die Fußball-Weltmeisterschaft qualifizierte. Natürlich kamen die meisten Spieler aus Trinidad – doch der bekannteste von ihnen, Dwight Yorke, stammte von der kleinen Schwesterinsel Tobago. Am Rand der winzigen, turbulenten Hauptstadt Scarborough hat man mittlerweile ein Fußballstadion nach dem berühmten Sohn benannt.

Wer Tobago kennenlernen will – 50.000 Einwohner auf der doppelten Fläche Liechtensteins – muss die „Stadt“ (die um 22 Uhr gleichsam zusperrt, so wie das meiste auf der Insel) verlassen und die Küsten abfahren: Die milde karibikseitige Nordseite mit ihren weiten Buchten, mit dem Zugang zum ältesten geschützten Regenwald der Welt, und die rauere Atlantikseite, mondäner, lebensfroher, die teilweise an Ligurien erinnert – nur dass die Sonne das ganze Jahr über scheint und die Temperaturen nie unter 25 Grad sinken.

An den Vögeln führt hier wie dort kein Weg vorbei. Sie sind aktiver, sie sind bunter – und es sind ein paar hundert Arten davon da. Das liegt an der Nähe des Kontinents: geologisch und naturgeschichtlich gehört die Insel zu Südamerika und nicht zu Westindien. Unverkennbar tönt aus Tobagos Büschen der heisere fasanähnliche Schrei des etwas ungeliebten Nationaltiers Chacalaca, das als Nahrung junge Pflanzentriebe bevorzugt. Populärere Sympathieträger sind die zwanzig Kolibriarten, klein und aufgeregt – sieht man sie endlich einmal auf einem Ast sitzen, schlägt ihr Herz wie bei einem Baby – der Mot-Mot, dessen Schwanz einem Dart-Pfeil gleicht, oder die blau schillernde Bischofstangare, von den Einheimischen „Blue Jeans“ genannt.

Spätestens auf der Schnellstraße von und nach Scarborough lernt man die lokalen Verkehrsregeln kennen: Das Einhalten des unrealistischen inselweiten Tempolimit von 50 km/h sorgt bei Einheimischen für Ärger. Außerdem ist Hupen auf Tobago ein Freundschaftszeichen. Hält man in einer Kolonne einen angemessen normalen Abstand zum Vordermann, versucht einen der Hintermann zu überholen. Die durchschnittliche Bilanz einer Inselrundfahrt sind Sichtungen von drei toten Hunden und drei toten Schlangen. Keine Ahnung, wie man fahren muss, um Schlangen niederzuführen.

Um sich von der Hetzjagd zu erholen, empfehlen sich Orte wie das Hotel Blue Haven mit Privatstrand – wobei das nicht so genau genommen wird, denn natürlich ist in Tobago jeder Strand für jeden Menschen offen. Die warmen Winde, die manchmal etwas raue Freundlichkeit, die kontaminierende Begeisterung bei den Krabben- und Ziegenrennen können durchaus mit dem Charme der übermächtigen Schwesterinsel mit ihrem Karneval, der als der zweitberühmteste nach Rio gilt, konkurrieren. Die kulinarische Seite schreckt zunächst einmal ab. Aus irgendeinem Grund kommt einheimische Küche außerhalb von Hotel-Restaurants zumeist als Take-Away in Styroporgebinden daher. Doch einige der Häuschen am Straßenrand, verstreut über die Insel, kochen richtig gut: die herzhafte, kreolische Küche, Fleisch oder Fisch mit Erdäpfeln, Süßkartoffel, Kochbananen und Manioca, oder indische Roti-Fladen, vergetarisch oder mit Huhn; all das nie ohne grüne, gelbe oder rote „home-made pepper sauce“.

Über die Meeresoberfläche bei Pigeon Point, einer Naturreserve im gut erschlossenen Westen, fliegen Pelikane und nehmen wie Staubsauger alle fliegenden Fische mit, derer sie habhaft werden. Von hier führt die Karibikküste zum Stone Haven Bay, wo sich mit dem „Seahorse“ das einzige Toprestaurant der Insel befindet, in dem karibische Küche, Langusten, Hummer und Fisch mit starken Saucen, auf italienische Elemente trifft. Das Boutiquehotel stellt auch vier Zimmer zur Verfügung, und Schildkröstenliebhaber aus aller Welt kommen zwischen März und September. Zu dieser Zeit legen Weibchen der Lederschildkröte an einigen Stränden der ruhigen Nordküste Tobagos ihre Eier ab, aus denen nach knapp zwei Monaten die Jungen schlüpfen, die schnurstracks den Weg zum Meer suchen. Ihr bevorzugter Ort ist aus unerfindlichen Gründen seit jeher Stone Haven Bay.

Statt eines Panzers trägt die größte aller Schildkröten verfestigte Lederhaut am Rücken, wird bis zu zwei Metern lang, taucht tiefer als ein Pottwal und kann bis zu einer Tonne wiegen. Die Strand-Spektakel finden nachts statt, das „Seahorse“ sorgt für Turtle Alarm und Beobachtungstrips. Ist ihre Arbeit in der Bucht getan, bevorzugt die Lederschildkröte das Element Wasser, durchschwimmt alle Weltmeere – und ernährt sich dabei ausschließlich von Portuguese Men O´War, einem quallenartigen Zusammenschluss von Polypen, auf Deutsch „Portugiesische Galeere“, von denen sie an guten Tagen hundert Kilo zu sich nimmt.

Über den kleinen und die großen Englishmen-Strand über Parlatuvier Bay und Bloody Bay gelangt man zur Man O´War-Bucht, aber keine Angst, die Portugiesischen Galeeren bleiben weit draußen. All die topographischen Namen zeugen von der bewegten Vergangenheit Tobagos, das, seit der „Entdeckung“ durch Kolumbus (1498) zum Spielball kolonialer Willkür wurde. Die Ureinwohner, Arawak und Kariben, wurden genoziert, einigen gelang die Flucht nach Dominica, wo bis heute die letzten karibischen Ureinwohner leben. Tobago wechselte 31 Mal seine Flagge, meist zwischen Frankreich und England, das ab 1814 das bessere Ende für sich behielt, zwischendurch jedoch auch Besitz Spaniens, der Niederlande, des lettischen Kleinstaats Kurland, oder einfach nur Piratenstützpunkt. Seit 1962 ist T&T ein eigenständiger Staat.

Dass Tobago niemals auch nur im geringsten ein politischer Machtfaktor war, half der Insel bei ihren Eigenständigkeitsbemühungen, und noch heute behandelt man Krankheiten mit den Hausmitteln und Kräutern von einst, Bittermelonen, Bullrush, Fiebergras, Seed-under-leaf. Afrikanische Voodoo-Traditionen sollen heute noch im Nordküstendorf Les Coteaux angewandt werden, die restlichen Inselbewohner fürchten die schrulligen Coteauxler, auf männlicher Seite es wird gemunkelt, dass einen die dortigen Frauen, isst man einmal mit ihnen zu Abend, dermaßen verzaubern, dass man sie nie wieder verlassen kann: eine großartige Metapher für den viel besungenen Schrecken der Institution Ehe.

Bei einem Aussichtspunkt nahe des Mount Thomas wartet Jah´by an seinem Handicraft-Stand: der 45-jährige mit seiner Rastafari-Mütze begrüßt Gäste mit dem sachten Fauststupsen aus der Reggae-Kultur: „Hey man, schau dir meine Schnitzereien an. Ich will dir nichts einreden, aber vielleicht brauchst du genau das?“ Jah´by hat vor vielen Jahren von einem Österreicher ein Naturkunde-Buch aus den Fünfzigern bekommen, in dem alle Tiere abgebildet sind. „Das sind seitdem meine Vorlagen. Bei mir wird alles selbst verfertigt!“

Hinter Bloody Bay zweigt die Straße ins Landesinnere ab, hier beginnen die mehrstündigen Regenwald-Touren auf dem Gilpin Trail, auf denen man unterwegs in Wasserfällen baden kann – in die andere Richtung führt eine romantische Bergstraße über den Pass ins Fischerdorf Charlotteville, das man bei der Sendestation Flagstaff Hill auch von oben betrachten kann. Von hier fährt man zu Speyside ab, noch vor kurzem als Tauchdestination kaum bekannt, doch seit kurzem preisen Magazine wie „Sport Diver“ die Speyside-Gegend als Traumziel für abenteuerlustigere Taucher an. Nicht weit vom Ufer wartet die größte Hirnkoralle der Welt auf Besichtigungen, die Unterwasserorte heißen Angel Reef, Japanese Gardens oder Blackjack Hole. Von Speyside fahren Boote zum vorgelagerten Insel-Vogelparadies Little Tobago. Weniger hyperaktive Besucher begnügen sich mit einem Besuch bei Jemma´s, dem populären Strandlokal, das auf, in und rund um einen mächtigen Mandelbaum erbaut wurde. Köchin Jemma schaltet und waltet in der Küche. Wer nach ihr fragt, bekommt zu hören, dass sie gerade kocht. Wie das Ungeheuer Nessie wurde sie erst selten gesehen, und nie oder nur unscharf fotografiert.

Von Speyside führt die Atlantikküste über das Straßendorf Roxborough, in dem Kokosnüsse auf karibische Art verkauft werden – man trinkt „das Kokoswasser“, wonach der Verkäufer die Nuss in drei Stücke hackt und einen Löffel zum Abschaben des Fleischs schnitzt – über die langen Buchten von Carapuse und Goldsborogh zum vorgelagerten Fort Granby, der erstaunlichsten Befestigungsanlage des 18. Jahrhunderts. Denn von ihr, die in jedem Plan verzeichnet ist, blieb absolut nichts übrig. Fort Granby, 1765 erbaut, sollte eine Hauptstadt namens Georgetown bewachen. Die Briten schafften es jedoch nie, eine solche Stadt zu errichten, und wohnten in ihren Schiffen, die bei Fort Granby ankerten. Nach einem der dauernden Machtwechsel bewohnten Franzosen das Fort von 1781 bis 1787, danach verfiel es. Heute ist, abgesehen von der guten Beschilderung, einem merkwürdigen Zauberwäldchen und einem Grabstein, kein Hauch von Fort Granby zu sehen. Der Grabstein sagt: „Beneath this stone lies the body of Mr. James Clark, who departed this life the 6th of July 1772. Aged 30 years.“ Das erfrischende Nicht-Kastell ist als Besuchsattraktion sicher interessanter als die meisten Kolonialruinen!

Veranstalter: Sunny Islands, www.karibik.at

Anreise: Flug mit Condor über Frankfurt ab allen österreichischen Flughäfen, bis 11.4. am Sonntag, ab 21.4. am Mittwoch; Einreise: Reisepass, mindestens 6 Monate gültig; Impfungen: keine vorgeschrieben; Klima: Durchschnittliche Jahrestemperatur 30 Grad, Wasser 26 Grad. Tobago liegt nicht in der Hurrican-Zone; Sprache: Englisch; Reisezeit: das ganze Jahr, ab April ist Nebensaison (preiswerter); Spezialprodukte: Traumhochzeiten am Strand, im Regenwald, auf einer Segeljacht und Taucherhochzeit; Privat-Strandvillen mit eigenem Pool; Inselkombinationen mit der Schwesterinsel Trinidad.

Unterkunft: Seahorse Inn, www.seahorseinntobago.com, Gästehaus, Restaurant&Bar, Nordküste, Stone Haven Bay, Tobago oder Blue Haven Hotel, knapp außerhalb von Scarborough, www.bluehavenhotel.com; Restaurants: Jemma´s Seaview Kitchen, Speyside, Tobago; Charm´s Art Café, Tobago Dream Ltd, Bar-Restaurant, Laundry-Station und Internet-Café, auf der „Autobahn“ nahe der Shirvan Road-Abzweigung, bei Scarborough. Handicraft: Jah´by Creative Art&Craft, Wood Carving&Ornaments, Golden Lane, Mount Thomas, Tobago.

Fremdenverkehrsamt: Trinidad & Tobago, Tel. 0049-6131-3332999 Website: www.gotnt.de Karibikspezialist: SUNNY ISLANDS, Tel. 01/7124747, Website: www.karibik.at