St. Pölten – Österreich


„Falter“, April 1998

Die Grufties müssen draußen bleiben

Am Wochenende 3. – 5. April 98 findet bereits zum dritten Mal in Österreich die Fachmesse für religiöse Artikel und Bestattungsbedarf statt – die DEVOTA

In einem Jahr umrunden die Wiener Bestatter zwanzig Mal die Erde. Dafür stehen ihnen 18 Fourgons, 13 Glas- und Blumenwagen sowie über 25 weitere Fahrzeuge zur Verfügung. Pro Jahr werden auf den Friedhöfen der Hauptstadt an die 13.000 Erdbestattungen, 3.000 Feuerbestattungen und 1.700 Exhumierungen vorgenommen. Die Bestattung mit ihrer Zentrale in der Goldeggasse in Wien-Wieden steht unter der Leitung von Direktor OSR Dr. Wurst und bildet neben Strom, Gas und Wiener Linien den vierten und unbekanntesten Teil der Wiener Stadtwerke. Wer in Wien, Graz oder Klagenfurt stirbt, bekommt es automatisch mit der Städtischen Bestattung zu tun. Das ist nicht selbstverständlich. Je weiter westlich, desto brutaler der Konkurrenzkampf: in Salzburg teilt sich etwa die Städtische mit zwei privaten Bestattungen den Markt, in Innsbruck konkurrieren fünf Betriebe.

Das Geschäftsklima hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Kooperation ist für viele Bestatter ein Fremdwort. Das Projekt „Überführungspool“, ein ambitionierter Versuch, die landesweite Zusammenarbeit zu intensivieren, wurde von den österreichischen Bestattern kaum wahrgenommen. Jeder kocht sein eigenes Süppchen – so dass es durchaus vorkommen kann, dass einer dem anderen die Leiche vor der Nase wegschnappt.

Es ist nicht die rückläufige Sterberate, die das Bestatterdasein in den neunziger Jahren zu einer Gratwanderung macht. Die Branche leidet auch unter dem zunehmenden Verkümmern traditioneller Begräbnisriten. Nur nicht durch ein schäbiges Begräbnis auffallen!, gilt zwar immer noch, aber die anonyme Bestattung ohne Geistlichen (Programm: Krematorium-Urne-Beisetzung) ist im Vormarsch. Das Verständnis für den „letzten Wunsch“ der Alten ist abgeflaut – die Kunden begnügen sich mit dem Standardprogramm und schimpfen über die Preise. Geprägt von der spartanisch-schlichten Ästhetik der Ikeawelt fehlt der Zielgruppe von Morgen zudem das Faible für Größe und Prunk. Wo früher regelrechte Familienaufmärsche stattfanden, begnügt sich der Hinterbliebene von heute mit Kondolenzkarten und Kranzspenden. Vor allem kleinere Bestatter geraten rasch in die roten Zahlen: Am Partendruck verdient man kaum was, die Gewinnspanne bei Pietätsartikeln ist ziemlich unergiebig. Nur, wer genügend teure Sargmodelle verkauft, floriert.

Wien ist ein Sonderfall: der städtische Sargerzeugungsbetrieb im 23.Bezirk produziert seit einem dreiviertel Jahrhundert mehr als 30.000 Särge jährlich. Fast die Hälfte davon geht in die Bundesländer. Für die Sargerzeuger und Bestatter aus abgelegenen Regionen gilt es, den Markt umso genauer zu beobachten. Anbieter aus Italien oder aus der Bundesrepublik verlangen für die gleiche Ware bedeutend weniger. Fuhren die Kunden früher alle heiligen Zeiten Fachmessen im Ausland, so trifft sich die österreichische Zunft heuer zum dritten Mal in St.Pölten auf der DEVOTA 98, der einzigen österreichischen Fachmesse für religiöse Artikel und Bestattungsbedarf. Wer konkurrenzfähig bleiben will, für den sind Preisvergleiche unumgänglich.

„Es fahren schon einige da außi“, sagt der St. Pöltner Taxler, der uns zum Ausstellungsgelände bringt, „aber großen Andrang gibts keinen.“ Die Werbemöglichkeiten für Bestattungsunternehmen sind gesetzlich stark eingeschränkt – vielmehr als ein Kugelschreiber oder ein Feuerzeug mit Firmennamen und Telefonnummer ist da nicht drinnen. Das Geschäft läuft über Mundpropaganda: den Beziehungen zu Krankenhäusern und Altenheimen. Wer den Standort Leiche zuerst erfährt, holt sie sich auch. Nebenbei legen die Bestatter Wert auf Diskretion und auf das, was andere Wirtschaftszweige Stammkundschaft nennen. Messetouristen, die ihre persönliche Spielart von Nekrophilie therapieren wollen, sind auf der DEVOTA nicht erwünscht. Den beiden Grufties, die mit ihren Sisters-of-Mercy-Jacken, den schweren Kreuzen auf der Brust und grinsend vor dem Eingang stehen, wird der Zutritt verwehrt.

Sie wären auch enttäuscht gewesen: Schöne Leich' gibts keine zu sehen. Schon eher exklusive Urnenmodelle, luxuriöse schwarze Fourgons mit Sonnenuntergang bemalt, garantiert tropfsichere Unfallsärge, Devotionalien aus jedem gewünschten Material (vom Gummijesus bis zum haltbaren Trauerkranz), Kühlanlagen in schnittigem Sarg-styling, selbstklebende Goldbuchstaben für Gedenktafeln (falls einem der Steinmetz zu teuer ist), modernste Soundanlagen, damit der Pfarrer ordentlich rüberkommt. Eine italienische Firma bietet alle Arten von Kühlkammern und „Kühlzellen für Leichname“ (2-6 Plätze), aber auch „Kühlkammern für Gemeinschaften, Krankenhäuser und Kantinen“ (?) an. Weiters gibt es verchromte Seziertische, die laut Handbuch „mit Leichenbehälter und Tisch für Leichenaufenthalt gebraucht“ werden – besonderer Wert wird auf Temperaturkonstanz und Abflussfreundlichkeit gelegt.

Am Bestatter und seinen Särgen kommt keiner vorbei. „Unterm Wasser, unterm Wasser/ schwimmt die Schwiegermutter als a Nasser/ holts die Feuerwehr herbei/ sonst verstopfts uns den Kanai“, singt das Volk, aber mit der Realität hat das nichts zu tun. Das Bestattungsunternehmen nimmt den ordnungsgemäßen Ablauf eines Sterbefalls in die Hand. Totenschein, Transport, Aufbahrung, Ausrichtung des Begräbnisses. Chancenlos, wer aus irgendeinem Grund auf einen Teil des Procedere verzichten will (so wie jener Pensionist, der seine Frau tötete und direkt bei der Bestattung anrief, um möglichst rasch ein Feuerbegräbnis in die Wege zu leiten). Totenschein gibts eben nur vom Arzt. Vorschrift ist Vorschrift, auch auf dem letzten Weg. Die Urne der Uroma im Küchenkastl, das gibts nur in Amerika. Auf der DEVOTA kommt dann noch ein Schuss Selbstdarstellung dazu:

Die Wiener Städtische präsentiert demnach nicht nur die Särge aus ihrer Sargfabrik; auch Exponate aus dem Wiener Bestattungsmuseum wie etwa das Modell einer Leichenbim aus den dreißiger Jahren stehen in den Vitrinen. Auch die moderne Kunst hat ihren Platz: der aus Salzburg stammende und in New York lebende Künstler Harald Köck, der sich mit dem Zeitabschnitt zwischen Tod und Bestattung beschäftigt, ist mit einer Installation vertreten. Sein „Sarko phágos (Fleischfresser)“ steht für einen ambitionierten Zugang zum Thema Sterben – Imagepflege für ein marginalisiertes Gewerbe. Ein Video unterstützt die hölzerne Sargskulptur. Nebenan wird der hungrige Bestatterleib mit Wurstsemmeln und Sekt-Orange versorgt. Köcks Installation löst höchstens Stirnrunzeln aus. Die Gespräche drehen sich um Steuerbegünstigungen.

Das Bestattungshaus Pütz und sein Chef Fritz Roth aus Nordrhein-Westfalen hat da einen ganz anderen Zugang zum Geschäft. Sein „Haus der menschlichen Begleitung“ ist ein Bestattungsunternehmen neuer Art: den Hinterbliebenen wird ab dem Zeitpunkt des Todesfalls Unterstützung und Beistand angeboten. Seminare und Gruppengespräche helfen den Kunden, mit dem Faktum Tod umzugehen. Roth entwickelt in seinem 90-Minuten-Vortrag auf der DEVOTA neue Perspektiven für die Branche: Trauerökologie ist sein Schlagwort, Lernen-was-wir-verlernt-haben ist seine Botschaft. Sein Institut gleicht einem makaberen Museum: erdige Brauntöne herrschen vor; die Särge stehen dezent im Hintergrund. Roth versichert glaubhaft, dass die Vögel durchs Fenster reinzwitschern und die Bächlein plätschern, kurzum, wer sie sucht, kann hier wahre Geborgenheit finden zwischen Herzensgüte und New Age. Keiner kann sich von seiner Trauer loskaufen!, erhebt sich der warnende Zeigefinger des Diplomkaufmanns Roth. Jeder muss ganz bewusst Abschied nehmen! Denn Trauerwege sind Wüstenwege! Von der Trauerarbeit kann man sich nicht loskaufen! Menschen sind wir alle!

Roth sucht seine Marktnischen jenseits unpersönlicher Totengräber-Mentalität. Ein Veranstaltungskalender und eine Trauermodekollektion sind zusätzliche Standbeine. Das Angebot spricht die Hinterbliebenen an, wendet sich aber gleichfalls an „die modebewusste Dame jedes Alters, die etwas ausgefallenes für besondere Anlässe sucht“. Abgesehen von diesem Schnick-Schnack kommt man beim Bestattungshaus Pütz genauso unter die Erde wie überall. Hinter der funktionalen Fassade verbirgt das Haus, erzählt sein Chef stolz, auch eine kleine Pathologie. Ist zwar praktisch, aber in Österreich nicht erlaubt. Im übrigen wird seminarweise und stilgerecht getrauert, und das in erster Linie über lange Zeiträume hinweg: das Ende der Trauer ist auch das Ende des Rothschen Geschäftsvorfalls.

„Des sagt sich ja leicht, die Hinterbliebenen begleiten“, meint der Bestatter V., der Roths Vortrag nach fünf Minuten entnervt verlassen hat, „aber wer soll denn des zahlen?“

V. führt einen Familienbetrieb mit drei fixen Angestellten und einer Reihe von Gelegenheitsträgern. Größere Experimente leistet er sich nicht. Sein Jahresschnitt ist in den Neunzigern von sechshundert auf etwa vierhundert Leichen zurückgegangen. Seine direkten Konkurrenten legen zu. Er spielt mit dem Gedanken, in nächster Zeit einen Farbkopierer zu erwerben. Nicht weil die Leute unbedingt farbige Partezettel verlangen. Aber wenn man das Zeug anbietet, kommt die Nachfrage automatisch. Der Bestatter V. zieht wohlgelaunt von Stand zu Stand, trifft alte Bekannte, Leute von Autofirmen, die seine Transportwägen verkleiden, oder Sarganbieter, bei denen er selbst Kunde ist. „A Glaserl Sekt is überall drinnen“, lacht er verschmitzt.

Bahnbrechende Neuerungen auf den Sektoren DEVOTA und Funeraria hat die Messe keine zu bieten. Aber der Kampf gegen ein altbekanntes und weitgehend tabuisiertes Problem geht weiter: die sogenannten „Wachsleichen“, die unverrottet und mumifiziert bzw. semimumifiziert auf einer steigenden Anzahl europäischer Friedhöfe herumliegen. Wenn man bedenkt, dass in Österreich für frische Gräber eine gesetzliche Mindestruhe von nur 10 Jahren vorgeschrieben ist, öffnen sich grausige Perspektiven. Entweder der natürliche Zersetzungsprozess hält sich an diese Frist – oder eben nicht. Letzteres geschieht in „Problemböden“ mit zu nassem oder zu trockenem Erdreich, das überfettet oder übersäuert wird. Der Totengräber, der frischen Mutes drauflosgräbt, stößt dann auf die Bescherung.

Der Totengräber: das ist der friedhofseigene Mann, der die Trauernden am liebsten schon während der Einsegnung heimschicken würde. Das ist jener, der beim Begräbnis mit den Füßen scharrt, wenn der Geistliche nicht zum Ende kommt. Schnelle Priester, die den Betrieb nicht aufhalten, sind sehr geschätzt. Begräbnisse im Stundentakt, heißt ein Schlagwort, das jedem Totengräber wohlige Schauer verursacht. In städtischem Gebiet gibt es keine Beisetzungen nach 14 Uhr, da schaut schon die Gewerkschaft drauf. Der Totengräber hat den härtesten Jobs: vor allem bei undichten Gruften, wo Wasser eingedrungen ist: verlötete Reste von Blechsärgen, Knochen, Haare und halbverweste Leichenteile schwimmen da in einer dickflüssigen Suppe. Eine Suppe, die der Totengräber auslöffeln muss.

Gegen das konträre Problem, jenes der Wachsleichen, schreitet der schwäbische Erfinder und Produzent Günter Ackermann ein. Er bietet belüftete Grabkammern aus Leichtbeton an, in denen der Verwesungsprozess nach spätestens 15 Jahren abgeschlossen sein soll. Kostenpunkt für diese zukunftsweisende Technik: zwischen 1.500 und 3.500 DM, je nach Modell. In Österreich, wo zahlreiche alte Friedhöfe überbelegt sind und die Wachsleichen florieren, fand Ackermann bisher noch keinen Abnehmer. Die Bestatterszene wartet skeptisch ab, wie die ersten Versuche in der Bundesrepublik verlaufen. Der Bestatter V., der die Probleme aus schmerzlicher Erfahrung kennt, winkt müde ab: „Des wird oiss nix!“

Und, nach einem Blick in den Veranstaltungskatalog, in dem die nächste St. Pöltner Messe, die Erotica angekündigt wird: „Schad, dass' die beiden Messen net zsammlegen... des wär amal was.“