Wien-Semmering, Österreich


„Der Standard“, 22. August 2003

Ein Kaiserzug rollt dekadent und hübsch durch Österreich. Irgendwo steigt der Kaiser persönlich zu. Retro oder Nostalgie? Wohl beides. Martin Amanshauser fuhr mit dem Majestic Imperator auf den Semmering und zurück.


Bremsen für den Kaiser

Alles ist wie damals: Der Luxus einer längst vergangenen Epoche, in Form des „Majestic Imperator“, des Hofsalonzuges von Kaiser Franz Joseph. Einer fehlt allerdings, Lokomotivführer Claudius von Klaudy. Was für ein Name! Er war seit 1868 der persönliche Lokomotivführer des Kaisers, er galt als der perfekte Eisenbahnmann seiner Epoche. Sein Feingefühl ging so weit, dass er frühmorgens das Tempo des Zugs auf Schrittgeschwindigkeit drosselte, um die Schnittwundengefahr während des kaiserlichen Rasurvorgangs zu minimieren. Auch soll von Klaudy an den Stationen höchstpersönlich ausgestiegen sein, um die Waggone peinlich genau auf ihre Sicherheit zu überprüfen.

Die Original-Waggone haben allesamt die Weltkriege nicht überstanden. Aber in Österreich fand sich ein Nachfolger des von Klaudy, Gottfried Rieck. Dieser Mann hatte einen Lebenstraum, der ihn nicht mehr losließ. Nach einem Karrierestart als Dampflok-Heizer mit 23 Jahren am Steuer des ÖBB-Transalpin, war Rieck einst der jüngste Lokführer Europas - ein echter Mann der Schiene. Als ihn ein Freund Anfang der Siebzigerjahre fragte, ob man nicht einmal „eine Party in einem Zug feiern“ könne, war die Idee geboren, und der Brückenschlag zu den Habsburgern war nicht mehr weit. Nach einigen Events, die mitunter zum Stadtgespräch wurden, begann Rieck 1991 sein ambitioniertes Projekt: die Wiederherstellung des Kaiserzugs. In Ceske Velenice fand er das Knowhow, die Tschechen bauten innerhalb weniger Jahre sechs Waggons, 1998 hatte der Majestic Imperator seine Jungfernfahrt, seitdem rollt durchschnittlich jeden Tag ein historischer Waggon – man kann sie für Parties auch einzeln mieten – über die Schienen.

„Der Majestic Imperator ist in Österreich eher unbekannt, aber in den USA und in Japan wissen viele Leute von uns“, erzählt Rieck, „das eigentlich interessante sind aber die Parties, wo unsere Gäste fressen, saufen und tanzen. Erstaunlicherweise geht fast nie was kaputt, die Leute haben großen Respekt.“ Das Interieur ist tatsächlich schützenswert: man kann seine 21.-Jahrhundert-Fresse ungeniert im Spiegel, vor dem sich die Sisi frisierte, spiegeln lassen, man sieht einen der Originalvorhänge aus der Kaiserloge der Oper, betrachtet aber auch voll Rührung hinter Glas eine ungewaschene Serviette, mit der sich unser Kaiser den Mund abwischte – Datum exakt überliefert.

Venedig, München, Prag und Budapest sind die Ziele, klassisch ist aber der Semmeringtrip, der in den Sommermonaten jeden Donnerstag um 18.25 beginnt und gegen 23.00 wieder in Wien Süd endet. Irgendwo auf der Strecke steigt sogar Kaiser Franz Joseph mit seiner Bommelhaube zu. „Sie werden sehen, alles, was Sie noch belastet, fällt von Ihnen ab auf dieser Fahrt“, hat Gottfried Rieck angekündigt. Naja, denkt der Reisende, mag sein, ist aber angesichts der grandiosen Sinnlosigkeit des Unternehmens – Semmering rauf und runter – ziemlich zweifelhaft. Doch was sich noch kurz zuvor als dekadente Spielart der Zeitverschwendung dargestellt hat, kriegt spätestens auf der Rückfahrt eine neue Qualität. Angesichts der absoluten Eingeschlossenheit in ein völlig kompaktes System – im vorliegenden Fall Kaiserzug und Dinner – beginnt der Reisende tatsächlich zu denken.

Handelt es sich nun um eine Reise, oder nicht vielmehr ihr Gegenteil? Fest steht, dass man nirgends real ankommt. Der Weg ist das Ziel, ein Gedanke, den man erst einmal aushalten muss. „Ziele sind nur deshalb begehrenswert, weil die Reise dazwischenliegt“, hat Sisi während einer Zugfahrt in ihr Tagebuch geschrieben. Aber immerhin diente die jeweilige Deslokation der Kaiserin wenn schon nicht jedesmal dem Staatswohl, so doch der Erstellung eines beeindruckenden Itinerariums.

Bei diesem Trip ins Nichts und zurück hingegen, in einem Sommer der zynischen Nullerjahre, worum handelt es sich: reines Brimborium, glänzender Retro, öde Nostalgie? Die Topfenknödel schmecken ausgezeichnet, daraus folgt Nostalgie? Das Interieur ist in den trendbewussten Neunzigern entstanden, daraus folgt Retro? Vermutlich all das. Jedenfalls ist die Fahrt mit dem Majestic Imperator mit einem ausgiebigen Museumsbesuch vergleichbar. Unterschied: Man muss nachher nicht essen gehen, weil das Abendessen im Eintrittspreis inkludiert war.

Wer ins Grübeln gekommen ist, erreicht schließlich eine ebenso zentrale wie klassische Fragestellung: Wozu braucht man das? Die Antwort ist deprimierend einfach: Luxus braucht man überhaupt nicht. Man kann ganz ausgezeichnet ohne den Majestic Imperator leben. Es handelt sich um eine glänzende Illusion, um ein Stück Vergangenheit, wunderschön in seiner Sinnlosigkeit, unter Umständen ideal, um eine Erbtante vor dem endgültigen Abgang noch einmal zu beeindrucken. Sonst nichts. Das ist aber gut so. Denn die Idee, dass irgendwo da draußen, zwischen all den unbequemen ICE-Garnituren, bei denen man nicht einmal mehr die Armlehnen hochstellen kann, ein Kaiserzug über die Schienen gleitet, diese Idee hat was tröstliches.

Majestic Imperator Train de Luxe, 01/2149490, gorieck@imperialtrain.com, www.imperialtrain.com, Semmeringfahrten einmal wöchentlich, Preise für das Mieten einzelner Waggons auf Anfrage.