Samnaun

"Die Presse" 2008

Haubenküche im zollfreien Raum

 

Das Skigebiet Samnaun in der Schweiz bildet das Rückgrat der Ischgler Partyspäße: so nahe kann uns die Schweiz sein!

 

Alles ist Zegg im Bergort Samnaun am Dreiländereck Schweiz – Österreich – Italien. Zegg auf Plakaten, Zegg auf Skiständern, Zegg in der Parfümerie. Würde man von Samnaun träumen, dann zuerst von der schneebedeckten Dorfstraße, von blitzmodernen Skikellern, vom lebendigen, aber beruhigend unschrillen Nachtleben, aber letztlich träumte man natürlich auch von Zegg. Doch was verbirgt sich hinter dem ominösen Zegg? Christian Jenal, seines Zeichens der Mann, der alles über Samnaun weiß, steht im Talmuseum und schmunzelt: „Die frühen Besiedler haben entweder Zegg geheißen, oder Jenal – wie ich – oder Hangl. Viele neue Namen sind bis heute nicht hinzugekommen.“

Im Talmuseum, unten in Samnauns Dorfteil Plan, erfährt man eine Menge über das raue, widerstandsfähige Volk, das entbehrungsreich zwischen Schweizer Reformatoren und Tiroler Katholiken lebte, und dessen Tal heute Ausgangspunkt für das größte Skigebiet der Ostalpen ist. Hier, im Kanton Graubünden, einst rätomanisches Gebiet, befindet sich die andere Seite der wilden Ausgehmeile von Ischgl: das sanfte Gesicht einer Skischaukel. „Döismoul isch dr Schuss hinta aussa“, so ungefähr hört es sich an, wenn Einheimische sprechen: obwohl nahe am Engadin gelegen, herrscht nicht schweizerdeutsch vor, sondern ein Dialekt, der jenem in Tirol gleicht. Das macht Samnaun sprachwissenschaftlich zur kleinsten Minderheit der Schweiz. „Natürlich empfindet sich deshalb niemand als Tiroler“, darauf legt Chrstian Jenal Wert, „am besten wäre, wenn wir ein Fürstentum wären, so etwas wie Liechtenstein, ganz für uns selbst.“ Einst wohnten romanisch sprechende Bündner in Samnaun, doch der Ochsenkarrenweg nach Tirol war, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen, immer der vielversprechendste. Heute lebt das Samnauner Romanisch nur noch in Ausdrücken wie „Piz“ (Berg), „Plan“ (Ebene), „Pra“ (Wiese) und „Val“ (Tal) weiter. Bis ins 19. Jahrhundert war Samnaun nur von Tirol aus erreichbar, die Identität war immer eidgenössisch, aber trotzdem von beiden Kulturen geprägt – jener katholischen Tiroler Seite, der man sich letztlich wirtschaftlich zugehörig fühlte, und jener reformatorischen Graubündner Seite, die politisch weiterhin das Sagen hatte.

 

An der Spitze von Samnaun: Von ganz oben bietet sich freier Blick auf eine einzigartige Bergwelt: das Piz-Buin-Massiv bildet die Grenze zwischen Graubünden und Vorarlberg, und da befinden sich Gipfel wie der Piz Buin (3.122 Meter), das Fluchthorn  (3.399 Meter) und die Dreiländerspitze (3.197 Meter). Auch Tourengeher kommen auf ihre Rechnung – die Seilbahn Samnaun gibt Auskünfte, ob der schöne Hang am Westlichen Visnitzjoch ohne Gefahr befahrbar ist, er ist steil und teilweise in den Morgenstunden gefroren, bei weichem Schnee eröffnen sich tolle Perspektiven.

Die von Ende November bis Mai schneesichere „Silvretta Arena“ mit ihren 230 Kilometer Pisten hat nicht nur historische Besonderheiten, die wenige kennen. Langsam dringt auch ins Bewusstsein ein, dass auf Schweizer Seite ein modernes, österreichnahes Skigebiet den Ausgang nimmt, das in einer charmanten Mischung aus Verschlafenheit und Modernität anmutet wie eine echte Oase. Hotels wie die Chasa (sprich „Tschasa“) Montana oder das Erlebnisbad „Alpenquell“ bieten Wellness und Sauna mit Schweizer Unaufgeregtheit. Und auch wenn „die Russen“ kommen, von denen beim Skithema jetzt oft die Rede ist, bleibt alles im Lot. „Gute Gäste“, erzählt Markus, ein Kellner, „höflich, viel Trinkgeld, und wenn beim Feiern etwas kaputt geht – sie feiern ja extrem viel – zahlen sie es am nächsten Morgen bar an der Rezeption.“

Samnaun, selbst zwischen 1.700 bis 1.840 Meter gelegen, macht zwar innerhalb der „Silvretta Arena“ gemeinsame Sache mit Ischgl, doch am Partywahnsinn beteiligt es sich kaum. Auf den Nachbarn angesprochen, erntet man freundliches Schulterzucken und die Aussage, „das mit den Events machen die Ischgler schon geschickt“. Aber solche Lebensformen wären nichts für das 800-Einwohner-Dorf im schmalen Tal, einer alten Schmugglergegend, die ihre Pisten heute noch grenzbewusst benennt (die Abfahrt vom Palinkopf heißt „Duty Free Run“ und endet bei der „Schmuggler Alm“), und wo man billigen Zucker – wer braucht sowas?, doch schön ist die Vorstellung – ebenso wie zollfreien Wodka kriegt. Die Zollfreiheit der Region ist eine der großen Errungenschaften, seit 1892 das Gesuch in Zürich positiv behandelt wurde. „Die Samnauner sind stur“, erklärt Christian Jenal, „und das mit der Zollfreiheit schien ihnen eine gute Idee.“

 

„Investieren, nicht abcashen“: Samnaun agiert auch in der neuen Zeit geschickt, entnahm seine Tourismus-Gewinne nie, sondern expandierte stattdessen konsequent. So gibt es heute keinen einzigen Schlepplift mehr, und der älteste Sessellift stammt aus 1997. Seit den frühen Sechzigern ist Samnaun Skigebiet, seit 1978 besteht die Verbindung ins Paznauntal nach Ischgl. Besonders stolz ist man auf die doppelstöckige Pendelbahn mit einer Kapazität von 180 Personen, die auch im Sommer in Betrieb bleibt. „Überhaupt sollten die Leute auch im Sommer kommen“, sagt Christian Jenal, „unser Tourismusbeauftragter hört es ja nicht gern, wenn ich auf das milde Klima hinweise, aber das ist im Sommer eine unserer großen Stärken. Die Schneesicherheit haben wir ja vor allem, weil das Schigebiet sehr hoch liegt.“

Von der Bergstation Alp Trida Sattel sind es nur zwei Liftstrecken und eine Abfahrt über die österreichische Grenze hinweg zur Ischgler Idalp, wo gleich hörbar für österreichische Stimmung gesorgt wird: aus Lautsprechern schallt volkstümliche Musik, Texte wie „Hast eh die Runde noch bestellt / heute schauma nicht aufs Geld“ törnen die Besucher ab oder an. Hier wird am 3. Mai Elton John aufspielen, und man kann sich die Stimmung schon vorstellen, die Leute wie der exzentrische Brillenstar entfachen können. In einem kleineren Gebäude auf der Idalp, etwas abseits, befindet sich auch ein Restaurant für gehobene Bedürfnisse, die „VIP-Lounge“. Hierhin verirrt sich kein Germknödel, die sorgsam gedeckten Tische verweisen auf moderne Küche.

Auch auf Schweizer Seite isst man jedoch hervorragend: Das Lokal am Alp-Trida-Sattel ist derart vornehm, dass die Speisekarte eine „Wein Entpfehlung“ enthält, nein, eigentlich ist Spott nicht angebracht bei einem guten Restaurant, umso mehr, als es vor zwanzig Jahren an solchen Orten nur Dudelmusik und Ketchuppommes gab. Im Tal schmeckt es im Dorfteil Samnaun-Ravaisch noch besser, das Hotel Restaurant Homann bietet eine Gourmetküche, die von Gault Miliau mit drei Hauben und 17 Punkten ausgezeichnet wurde. Und auf eines kann man sich hier verlassen: In der Küche steht garantiert ein Lehrling, der Zegg heißt. Ein Jenal vermutlich auch, ein Hangl auch, aber ganz sicher immer ein Zegg.

 

 

Samnaun Tourismus, Dorfstraße 4, CH-7563 Samnaun Dorf, www.samnaun.ch, info@samnaun.ch; Zegg: www.zegg.ch.

 

Hotel Restaurant Homann, www.hotel-homann.ch, homann@bluewin.ch, Samnaun-Ravaisch

 

Wellness Hotel Chasa Montana, www.hotelchasamontana.ch (Familie Eliane und Hubert Zegg), info@hotelchasamontana.ch, Samnaun Dorf

 

Alpenquell Erlebnisbad Samnaun, www.alpenquell.ch, Samnaun-Compatsch

 

Talmuseum, Samnaun Plan

 

Restaurant am Alp Trida Sattel, 2.250 Meter, Samnaun, Schweiz.

Idalp, mit VIP-Lounge, 2.320 Meter, Ischgl, Tirol, Österreich.