Martin Amanshauser

Der Kanal, der ein Land schuf

Panama, das Land, das seine Existenz einem Kanal zu verdanken hat – und im Nordwesten einige Karibikinseln bietet.

Oh wie schön ist Panama! In der Janosch-Geschichte, die den Namen dieses Landes über Grenzen und Generationen hinweg positiv besetzt hat, reisen ein kleiner Tiger und ein kleiner Bär nach Panama. Bär und Tiger leben in einem gemütlichen Haus mit Schornstein. Sie träumen von Panama, seit eines Tages ein Holzkiste angeschwemmt worden ist, die so wunderbar nach Bananen, Freiheit und Abenteuer riecht. Bär und Tiger machen sich also auf den Weg zum Land ihrer Träume.

Das wirkliche Panama, betont auf der letzten Silbe, größer als die Schweiz, kleiner als Österreich, einst Teil von Kolumbien und später ein Wurmfortsatz der Vereinigten Staaten, weist den schmalsten amerikanischen Isthmus zwischen Atlantik und Pazifik auf. Ohne Durchschuss zwischen den beiden Weltmeeren, durch den Schiffe bis zu zwei Wochen Fahrt um Kap Hoorn sparen, den Panamakanal, würde Panama als Republik, einst ein Geschöpf der USA, heute ein (man möchte voranstellen: relativ) unabhängiger Staat, gar nicht existieren.

Erst am 31. Dezember 1999 ging die Hoheit an den Staat Panama über – nach einem halben Jahrhundert an Scharmützeln, dem bekanntesten davon die US-Invasion 1989, die General Noriega stürzte, den vielleicht berühmtesten Panamesen, heute in einem französischen Gefängnis untergebracht.

Den ersten Versuch zur Durchbohrung des Kontinents wagten die Franzosen. Graf Lesseps, der eben den Suezkanal vollendet hatte, startete in den Achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts den desaströsen Versuch, den Dschungel mit einem schleusenlosen Kanal zu durchschneiden. Über 20.000 Menschen, überwiegend Schwarze, starben während acht mörderischen Jahren, die meisten davon an Gelbfieber und Malaria. Ein Finanzskandal unerhörten Ausmaßes begleitete das französische Gemetzel. Als die Arbeiten 1889 eingestellt wurden, war nicht einmal ein Sechstel des Kanals errichtet.

1902 wurden die Reste an die USA verkauft, die 1903 den Staat Panama gründeten. Den Amerikanern gelang es tatsächlich, die Arbeiten bis zum 15. August 1914 fertigzustellen. Der zweite Versuch verschlang „nur noch“ 5.000 Menschenleben. Natürlich darf man sich den 81,6 Kilometer langen Panamakanal mit drei Schleusensystemen nicht nur als Kanal vorstellen. Die Fahrtrinne, 12 Meter tief, überwindet an die dreißig Höhenmeter und führt quer durch den Lago Gatún, der seinerseits erst beim Bau durch die Aufstauung des Rio Chagres geflutet wurde. Mit der Kraft dieses Sees wird bis heute der Wasserstand gesteuert. Bald wird das Millionste Schiff den Kanal passieren. („Panama ist das Land unserer Träume“, sagte der kleine Bär, „dort ist alles ganz anders und viel größer.“)

Der Kanal, den große Frachter in zehn Stunden durchqueren, hat nicht nur militärisch und zivil – man baut bis heute keine Schiffe, die ihn nicht befahren können – Maßstäbe gesetzt. Er ist der größte Wirtschaftsfaktor des Landes und hat seit seiner Eröffnung eine knappe Million Schiffe aller Gewichtsklassen durchgeschleust. Das kleinste davon war ein Mensch, Richard Halliburton (1900-1939), Flugpionier und Reiseschriftsteller. Der Name des Mannes, der als erster den Mount Everest von oben fotografierte und später bei einer Expedition im Chinesischen Meer verscholl, ist untrennbar mit dem Panamakanal verknüpft, den er in zehn Tagen durchschwamm, inklusive der Durchquerung von drei Schleusen. Dabei zahlte er die niedrigste Schiffsgebühr aller Zeiten, denn der Preis für die Kanalbefahrung wird traditionell nach Gewicht bemessen. Daher betrug die Abgabe für den Amerikaner nur 36 Cent.

Der Kanal verbindet die Hauptstadt Panama-City, am Pazifik, mit dem nördlichen Colón. Von dieser rätselhaften 50.000 Einwohner Stadt, andere sprechen von 250.000, wird wenig gesprochen, außer, dass Guidebücher vor ihr warnen – sie sei „gefährlich“. Fest steht, dass die zweitgrößte Stadt des Landes von der pazifischen Eisenbahngesellschaft erbaut wurde. Jüngst kam noch „Colón 2000“ dazu, der Kreuzfahrtspier am Rand des zweitgrößten Freihandelshafens der Welt, nach Hongkong. Den ruinierten Ruf hat Colón wohl dem ängstlichen Kreuzfahrtspublikum zu verdanken, das zur Aussichtsplattform bei den Gatun-Schleusen gekarrt wird, manchmal aber wie einsame Satelliten durch Armutsgebiete schlingern. Reale Gefahren sind nicht zu erkennen, die Vorurteile spiegeln aber die soziale Situation Panamas wieder. „Die Stadt ist gefährlich“ ist der weltweite Stehsatz ihrer Mittelschichten, die sich von Landflucht bedroht fühlen. Natürlich gibt es auch in Panama eine als gewalttätig imaginierte Unterschicht, die ins Zentrum drängt. (Aber: „Dann brauchen wir uns vor nichts zu fürchten“, sagte der kleine Tiger.)

Wer Colón möglichst schnell verlassen will, kann die „Panama Canal Railway Company“ mit ihren gläsernen Panoramawaggons in Anspruch nehmen – hier ist Panama wieder so schön, wie der kleine Bär und der kleine Tiger es sich vorstellten, die im Janosch-Buch unten am Fluss lebten. Sie wurde über der alten Panama-Eisenbahn errichtet und führt durch den einst gefluteten Ex-Urwald, einem unglaublichen Biotop, in dem 430 Vogelarten leben. Gelegentlich bietet sich auch ein Blick auf eine der 42 Inseln, die von Neuweltaffen bewohnt und von Krokodilen umschwommen werden. Mehr oder weniger parallel zum Kanal erreicht man in einer guten Stunde Panama-City.

Die Einwohner lassen den Zusatz „City“ allerdings weg, die Stadt mit einer guten Million Einwohnern ist gleichsam der Staat. Es ist ein schwer überblickbares Riesending, zusammengeschustert aus Schweiß, Hitze und Stahlbeton, die Viertel untereinander nicht durch öffentlichen, sondern durch Taxiverkehr verbunden, und die Höhepunkte des Bankendistrikts heißen Multicentro, Mall Multiplaza Pacific oder Centro Comercial El Dorado. In den weiten klimatisierten Hallen ist nichts außergewöhnlich, außer vielleicht der allgegenwärtige Panamahut, den man für knappe 15 Euro erhält.

Die Business-Hotels ragen in den Himmel, ähneln einander und ließen ganze Stadtviertel ringsum entstehen, eines davon das Hotel Veneto im Bezirk El Cangrejo. Manche verwöhnte West-Touristen ertragen Hotels wie das Veneto nicht, schreiben bitterböse Sätze ins Gästebuch, dabei entspricht es dem Top-Standard von Schwellenländern und ist ein in sich außergewöhnliches Gebilde. Wer sich an einem solchen Ort über Inkompetenz oder Unfreundlichkeit der Rezeptionisten aufregt, hat nichts verstanden. Öffentliche Hochzeiten, Casino und Prostitution, das alles gehört zur Post-Diktatur. („Pa – na – ma. Panama. Tiger, wir sind in Panama! Im Land unserer Träume, oooh – komm her, wir tanzen vor Freude.“)

Weiters existieren zwei Panamas jenseits von Hochhäusern und Einkaufszentren, zwei Panamas aus den Zeitepochen vor dem Kanal: Panama Viejo, im Osten der Stadtküste, die Überreste einer prunkvollen Kolonialstadt, die bis 1673 existierte. Das alte Panama war Anfang des 16. Jahrhunderts die erste Handelsstadt an der Pazifikküste. Ausgrabungen, wie sie in Europa Tausendjähriges hervorbringen würden – hier in den Tropen versinken die Bauten wie in einer sich füllenden Badewanne. Die Ruinenstadt, an deren Rändern notdürftige Fußballfelder mit Holztoren entstanden sind, war die reichste Stadt ihrer Epoche, was übrig ist, wird nun von der UNESCO geschützt. Zu spät, ein Feuer zerstörte die Ursprungsstadt, und ein neues Panama wurde neun Kilometer weiter, auf der übernächsten Landzunge aufgebaut: heute heißt es Casco Viejo oder Casco Antiguo.

Die farbenfrohe Kolonialarchitektur zeigt, wie Panama vor 150 Jahren von den Ausläufern des kalifornischen Goldrausches profitierte. Die alte Innenstadt mit der Kathedrale erinnert an Habana – leider auch, was die Bausubstanz betrifft. Erst seit wenigen Jahren wird der kleine Kern renoviert, der einst groß und machtvoll auf den Pazifik blickte.

Auch Panama hat seine Pardiesinseln. Kaum eine Stunde Flugzeit braucht es bis Bocas del Toro, eine Menge kleiner, der Atlantikküste vorgelagerter Inseln auf der Karibikseite. Die größte und quirligste davon ist die Isla Colón. Panamesen mit Geld verbringen hier ihre Sommerurlaube. Die Hauptstadt, einfach Bocas genannt, ist auf drei Seiten vom penetrant warmen Meer umgeben. Die Küste von Bocas bilden Bootshäuser aus Holz, mit Restaurants und Pensionen. Ein buntes Küsten-Capriccio, das von den Privatmotorbooten angelaufen wird, wenn jemand Durst auf Bier kriegt. Hier wären der kleine Tiger und der kleine Bär wohl gestrandet, wenn sie nicht nach vielen Irrwegen Panama woanders gefunden hätten – in Form ihres eigenen Hauses.

Von Colón aus sind völlig leere Wunderstrände wie Punta Toro zu erreichen, aber natürlich auch Bastimentos, Hauptort der gleichnamigen Insel. Auf ihr befindet sich ein Nationalpark liegt, der großteils unter Wasser liegt. Paradies nicht nur für uns – sondern auch für Korallen, Schwämme und Seeigel. Von den kleinen Piers aus sieht man bunte Seesterne am Grund liegen. Noch immer ist die Gegend durch Bananenplantagen und die damit verbundene Wasserverschmutzung bedroht, doch wenn sich der Tourismus als Haupteinnahmequelle der Bewohner durchsetzt, besteht Hoffnung, dass diese außergewöhnliche Panama-Karibik erhalten bleibt. („O Tiger“, sagte jeden Tag der kleine Bär, „wie gut ist es, dass wir Panama gefunden haben, nicht wahr?“)

Flug:

Der Autor flog mit KLM von Wien über Amsterdam nach Panama, www.klm.at, Tel: 0810 310 890. KLM fliegt 5x pro Woche von Amsterdam nach Panama. ( täglich außer Montag und Samstag). Ab Panama City Code Share mit Copa Airlines zu 60 Zielen in Zentral- und Südamerika. Wien ist durch 4 tägliche Flüge nach Amsterdam an das Internationale Streckennetz von KLM angebunden. KLM ist Teil der AIR FRANCE KLM Gruppe, gemeinsames Vielfliegerprogramm: Flying Blue.

Inlandsflug:

Bocas del Toro ist täglich mit einem Inlandsflug von Panama City aus zu erreichen.

Unterkunft:

Hotel Veneto, Panama City, www.venetopanama.com

Playa Tortuga, Bocas del Toro, Hotel und Beach Resort, www.hotelplayatortuga.com

Buch:

Alle Zitate im Text stammen aus: Janosch, Oh, wie schön ist Panama, Beltz&Gelberg 1978.