Malta

„Der Standard“, 25. Juni 2004


Martin Amanshauser besuchte Malta, eine volle Insel ohne Olivenhaine, mit seiner Mischung aus Ritterburg und mediterraner Gewichtslosigkeit und sammelte einige paneuropäische Merksätze über den kleinen Inselstaat.


Man spricht Malti

Plötzlich sprechen alle von Malta. Seit ihrem quasi überraschenden EU-Beitritt ist die Mittelmeerinsel, von der viele nicht wussten „wo sie dazugehört“, tief in unsere Denkwelt eingedrungen. Das Wort „Malta“ stand im österreichischen kollektiven Bewusstsein die längste Zeit als Synonym für einen vorzeitlichen 9:0-Fußballsieg mit sechs Hans-Krankl-Toren, war also durch seine positive Besetzung als vorauseilendes Antidotum für zukünftige 0:9-Schlappen geeignet.

Inzwischen hat sich das Malta in unseren Köpfen von seiner Niederlage emanzipiert. Durch geschickte Verhandlungen setzte das junge EU-Mitglied Dutzende von Sonderklauseln durch, vom Abtreibungsverbot bis zum Scheidungsverbot. Als Draufgabe mussten die Brüsseler Verhandler Maltesisch – neben Englisch zweite lokale Amtssprache, von eigensinnigen Menschen auch „Maltekisch“ oder „Malti“ genannt – zur EU-Sprache erklären, was einen akuten Mangel an Übersetzerpersonal in Brüssel hervorgerufen haben soll. Einleuchtend, denn man kann voraussetzen, dass die wenigen Glücklichen, die fließend Maltesisch und gleichzeitig Litauisch sprechen, bereits Traumjobs innehaben.

Das alles illustriert den Eigensinn, der einen erfolgreichen Fortbestand dieser beinahe trinkwasserlosen und an einigen Rändern unwirtlich felsigen Insel erst möglich gemacht hat. Denn so knapp die natürlichen Ressourcen waren, als so wichtig erwies sich ihre strategische Lage zwischen Europa und Nordafrika. Erstbesiedelt vor 7000 Jahren aus dem kaum hundert Kilometer entfernten Sizilien, eroberten Phönizier, Karthager, Römer, Byzantiner, Vandalen, Ostgoten, Araber und Normannen den gelbgrünen Fleck im Meer. Die spanisch-habsburgische Herrschaft belehnte den Johanniterorden mit Malta und seinen kleinen Inselbrüdern Gozo und Comino (1530-1798), nach Napoleons Intermezzo wurde man für hundertfünfzig Jahre zur britischen Kronkolonie.

Was ist heute davon übrig? Die historische Rivalität von zwei Großparteien, der Partit Nazzjonalista und der Labour Party (Partit tal-Haddiema). Die tiefroten Telefonzellen. Die blauen Laternen vor den Polizeistationen. Die orangefarbenen Autobusse mit ihren hübschen Rundschnauzen, die wie ein Scharm Hummeln durch das Staßennetz brummen. Denn Malta ist kein romantisches Olivenhain und trotz des Namens seiner einzigen international renommierten Popband („Beangrowers“) keine Agrarinsel. Die Besiedlungsdichte gleicht jener von New York, von knapp 400.000 Bewohner lebt nur ein Vierzigstel in Valletta, der Rest ist auf dreihundert Quadratkilometer verstreut. Diese Insel ist voll. Die Charakteristika einer klassischen Mittelmeerdestination fehlen gänzlich, doch gerade die Mischung aus Ritterburg und mediterraner Gewichtslosigkeit, aus Little London und Little Venedig, aus depressiver Isolation und weltmännischer Aufgeschlossenheit, erzeugt den Reiz.

Neben mondänen Hafenanlagen wie St. Julien´s Bay und Siedlungen mit Arbeiterflair wie Sliema liegen in der Bucht von Marsaxlokk bunte Kinder- und Erwachsenenboote mit sauber geschnürten Fischernetzen. Die Sonne röstet die sandsteinfarbenen Kirche und man trinkt Cisk. Die meisten Orte erreicht man in 20 Minuten, in fünf Tagen sieht man hier eine landschaftliche und architektonische Vielfalt wie woanders in fünf Wochen. Und wer ohne britischen Nebel Englisch lernen will – sagen wir die Schulklasse aus dem Gymnasium Wien-Spengergasse, die man an jeder Ecke trifft – kann einen der Sprachkurse belegen, in denen die Malteser laut eigenen Behauptungen echten britischen Akzent vermitteln.

Eines steht fest, sie sprechen tatsächlich nur untereinander Maltesisch – gegenüber Fremden erzählen sie mit der lässigen Eloquenz von Routiniers über ihre Gegenwart und Zukunft. Fast jedem Bewohner wurde in den letzten Monaten ein Mikrofon vor die Lippen gehalten, der Bäcker und der Fleischer am Eck sind Medienprofis.

Daraus entstanden zehn paneuropäische Merksätze, die unser Maltabild bis tief in alle zukünftigen Millionenshows hinein prägen. Hier im Überblick eine kurze Zusammenfassung des Wissenswertesten: 1) La Valletta liegt südlicher als Tunis. 2) Die Johanniter sind nichts anderes als die Malteser. 3) Die Kriegstracht der Johanniter war ein roter Mantel mit dem achtspitzigen weißen Malteserkreuz, in Friedenszeiten trugen sie schwarze Mäntel. 4) Es gibt noch ein Kreuz, nämlich das sogenannte „Georgskreuz“, das Malta vom britischen König George VI. erhielt, weil es sich im Zweiten Weltkrieg 154 Tagen bombardieren lassen musste. 5) Als „Malteser“ bezeichnet man nicht nur die Malteser, sondern auch die älteste europäische Zwerghunderasse mit lang behaarten Hängeohren, zusätzlich jedoch auch eine langhalsige Taubenrasse aus der Gruppe der Hühnertauben. 6) Viele der 360 Kirchen Maltas haben zwei Uhren, eine mit richtiger Zeit, und eine mit aufgemalten Zeigern, um den Teufel irrezuleiten. 7) In Hal-Far im Südosten steht die größte Playmobil-Fabrik der Welt. 8) In Valletta steht die „St. Pauls Shipwreck Church“, die an den Schiffbruch des Heiligen Paulus auf Malta (im Jahr 60) erinnert; in ihr befindet sich nicht nur ein Armknochen von Paulus. 9) Malta besteht aus Kalkstein, das gesamte Wasser versickert und deshalb fließen hier keine Flüsse. 10) Der EU-Beitritt wurde mit einem bunten Feuerwerk gefeiert, und die jungen Leute winkten mit EU-Fahnen und -Schals. Um zwei Uhr früh war das Spektakel vorbei, auch die Begeisterung. Man ging mit gesenktem Kopf nach Hause, als hätte man wieder einmal 0:9 verloren.