Lissabon

2014

Unter Millionen Taschenlampen

 

Es gibt zumindest drei Gründe, um Lissabon zu besuchen: das Licht, der Kaffee und die Miradouros auf den Hügeln.

Why Lissabon? Eigentlich die einfachste aller Fragen. Wegen des wunderbaren Lichts! Doch ist das Lichtargument ein abgegriffen-romantisierendes Küstenstadtklischee, und stimmt es denn, gilt es überhaupt noch? Wenn es irgendwo gilt, dann in der portugiesischen Hauptstadt. Die Sonne spiegelt die Tejofläche des ewig leicht gekräuselten Mar de palha, des Strohmeers, und die Reflexion sprüht ihre gleißende Helligkeit über die Stadt. Dazu gehören die weißen Miniwolken, wie zerrissene Bettlaken, die sich aus irgendeinem Grund im Hintergrund halten und einen hübschen Kontrast zeichnen. Die Gebäude in der Baixa (Unterstadt), im Bairro Alto (Oberstadt) und in der Alfama (sagen wir Urstadt) strahlen, als würde der Himmel hundert Millionen Taschenlampen auf sie richten.
Manchen Leuten ist das Licht egal. Sie könnten wegen des Cafés nach Lissabon kommen. Selbst in den hochgelobten Kulturen wie Frankreich, Italien oder Österreich reicht die Qualität der Kaffeebohnen lange nicht an jene der bica, wie man den kleinen Espresso in Lissabon nennt, verfertigt in alten Cimbali-Maschinen. Fein geröstet, aus Brasilien, besteht seine Hauptcharakteristik in einer Mischung aus Stärke, Schwärze und Mildheit, die anderswo einfach nicht zustande kommt. Dazu gehört der Stil. Auf den Silbertresen der Ecklokale wird einem die bica resolut vor die Nase geschleudert. Will man die Einheimischen imitieren, genießt man ihn in jener Zeitspanne, in der Usain Bolt 100 Meter herunterläuft. Der Milchkaffee, letztlich eine aufgeschäumte bica, kommt hingegen im Teeglas und heißt Galão. Ursprünglich war er ein Damengetränk. Durch Rückansteckung auf dem Weg über die Berliner Lifestyle-Szene wurde der Galão auch in Lissabon zu einem ernstzunehmenden Zeitvertreib.
Manchen Leuten ist der Kaffee egal. Sie lieben das Oben-Unten dieser Stadt. Es gibt etliche Theorien, auf wie vielen Hügeln Lissabon steht. Weltweit kann mit der Vielfalt der Blickrichtungen eigentlich nur das chilenische Valparaíso Schritt halten. Auf dem Hügelwerk gibt es prominente Aussichtspunkte, und dann wieder andere, die kaum einer kennt. Die Touristen drängen sich gerne auf dem Castelo de São Jorge, der mittelalterlichen Burg, auf der obersten Plattform des 1902 gebauten Elevador da Santa Justa, dem stählernen Personenaufzug ins Chiado, auf dem Miradouro de Santa Luzia, der in die Alfama blickt oder auf dem Miradouro de São Pedro de Alcântara, neben dem gelben Tramaufzug ins Bairro Alto. All diese Blicke sind letztlich purster Mainstream. Nicht ganz leicht zu finden, abseits und mit völlig neuen Perspektiven, nicht weit vom Miradouro da Graça, etwas nach hinten und oben versetzt im gleichnamigen Stadtteil Graça, den man mit dem legendären, aber überfüllten Eléctrico Nummer 28 erreicht, liegt der Top-Aussichtspunkt, der hochgelegene Miradouro da Senhora do Monte (Rua da Senhora do Monte 50). In der kleinen Kapelle kann man Samstag heiraten, die meisten Besucher hegen aber simplere Pläne – die unglaubliche Aussicht zu genießen, die sich von den Innenstadtvierteln über den Tejo bis nach Benfica, Campo Grande und der Einflugschneise der Flugzeuge erstreckt, das schönste Oben-Unten-Potpourri der hügeligsten Hauptstadt Europas.
Szeniger gibt sich ein anderer Miradouro, der wohl einzige, der direkt in Richtung Tejo-Strohmeer blickt. Auf dem sogenannten Adamastor, neben einer wilden Monsterstatue im Viertel Santa Catarina, in flusswärtiger Richtung unterhalb des Bairro Alto gelegen, (am Ende der Rua da Santa Catarina), treffen sich schüchterne Kunststudenten, harmlose Dealer und eingefleischte Slacker. Die Figur des Adamastor wurde erstmals in einem Gedicht des Nationallyrikers Camões (16. Jahrhundert) popularisiert, er ist eine mythologischer Riese und fungiert als Symbol für die Naturgewalten, denen die portugiesischen Entdeckungsreisenden ausgesetzt waren. Ein anderer Nationaldichter, Bocage (18. Jahrhundert), schrieb die eleganten Zeilen „Adamastor cruel!... De teus furores / Quantas vezes me lembro horrorizado!”, also “Grausamer Adamastor ... Wie oft haben mich schon / deine Wütereien terrorisiert” (Übersetzung Amanshauser). Zwei kleine Esplanaden bieten Bier und Sandwiches, und selbstverständlich den allerbesten Kaffee. Spätnachmittags serviert die Stadt einen Sonnenuntergang. Der Blick schweift über den Tejo zur Brücke, die einst den Namen des Diktators trug und heute den des Revolutionstags trägt, 25 de Abril. Da ist es wieder, das außergewöhnliche Licht.

 

TIPPS LISSABON / KARTE

UNTERKUNFT

Inspira Santa Marta Hotel, Rua de Santa Marta 48; Konzepthotel der neuen Art, setzt auf Nachhaltigkeit und Feng-Shui innerhalb von fünf Zimmer-Unterkategorien (Wasser, Erde, Feuer, Metall, Baum) für ein junges Publikum. Man kann es auch als Designhotel bewohnen, denn es verzichtet weitgehend auf Belehrung.
www.inspirasantamartahotel.com

UNTERKUNFT

VIP Execuitve Suites Eden, Praça dos Restauradores 24, das wichtigste an einer Immobilie ist Lage, Lage, Lage? Es gibt keinen zentraleren Wohnort als dieses Art-Deco-Gebäude neben dem Rossio-Bahnhof. War einst als das monumentalste Kino-Theater der Stadt bekannt (das Eden Teatro), verfiel Ende des 20. Jahrhunderts auf pittoreske Art, bietet heute Zimmer und Suiten zu Normalpreisen – und verfügt über das aufregendste Rooftop-Pool der Stadt.
www.edenaparthotelvip.com

 

UNTERKUNFT

Hotel Borges, Rua Garret 108, liegt im Chiado vor der Pessoa-Statue. Repräsentiert den alten Glanz, ohne in modernes Top-End abzudriften. Große Zimmer, altmodisch, etwas unbeholfen, und mit einem großartigen Azulejos-Frühstückssalon. Nicht allzu teuer, hielt sich zum Glück in der Dreisternkategorie.

www.hotelborges.com

UNTERKUNFT ALLGEMEIN

Lissabon Altstadt, ist keine Unterkunft, sondern ein Zusammenschluss von Privatwohnungen aus der Prä-Air-B´n´B-Epoche, die man über diese Webseite buchen kann. Ist wohl jeder anderen Unterkunftsart vorzuziehen, wenn man mehr als ein paar Tage bleibt.
www.lissabon-altstadt.de

RESTAURANT
Bistro 100 Maneiras, Rua do Teixeira 35, gilt inzwischen als eines der führenden Lokale des Landes. Ljubomir Stanisic, geboren 1978, kam aus Jugoslawien und wollte keinen Krieg mehr sehen. Er blieb und wurde zum gastronomischen Portugal-Spezialisten, Sternekoch und TV-Star. Reservierung (info@restaurante100maneiras.com) nicht vergessen.
www.restaurante100maneiras.com

RESTAURANT
Solepesca, Seafood Restaurant, Rua Nova do Carvalho 44, am Cais do Sodré. Freundlich, originell und jung. War früher ein Geschäft für Fischereibedarf und Fischdosen, serviert heute Konservenfisch mit frischem Brot und Oliven, aber eh aus einer Superauswahl Spezialkonserven der obersten Kategorie. Sehr reduziertes Konzept, momentan mega-in.
www.solepesca.com

CAFÉ

Pois Café, Rua São João da Praça 93-95; in der Alfama, direkt unterhalb der Kathedrale Sé, haben zwei Österreicherinnen dieses „café austríaco“ eröffnet, in dem es ein portugiesisches Mittagsmenü gibt – und großartige Kuchen! Treff für Erasmus-Stundenten, gemütlicher Sofahallenflair. Das inflationäre „Pois“ (ein zustimmender Laut) war das erste Wort, das den Chefinnen in Lissabon auffiel. Was es genau heißt? Die Lusitanistik diskutiert noch.
www.poiscafe.com

NACHTLEBEN / CLUB
Lux Fragil, Avenida Infante Dom Henrique, an den Docks gleich beim Bahnhof von Santa Apolónia, gehört zu den berühmtesten Clubs Europas. Drei ganz unterschiedliche Stockwerke, und offensichtlich Tausende ganz unterschiedliche Drogen – oder ist das einfach die natürlich sprühende Lebensenergie? Fest steht, die Portugiesen sind ab 3 Uhr früh so frisch drauf wie kein anderes Volk. Ziemlich glamourös, irre Tanzmusik, rundum ein weitläufiges Hafengebiet zum Chillen. Publikum größtenteils in den Achtzigern geboren.
www.luxfragil.com

NACHTLEBEN
Pensão Amor, Rua do Alecrim 19, Lokal im Samt- und Bordellstil mit Sofas und Kronleuchtern, Dekoration ist hier alles. Die DJs sind hoffnungslos aus jeder Mode gefallen und insofern wieder wunderbar. Man muss diese Pension, die keine ist, aber hier im wahrsten Sinn des Wortes mögen. Sonst findet man ein Haar in der Suppe. (Soll auch heißen: Trinken besser als Essen.) Publikum größtenteils in den Siebzigern geboren.
www.pensaoamor.pt

NACHTLEBEN
Pavilhão Chinês, Rua Dom Pedro V 89; eine Art überdrehte Bairro-Alto-Plüschbar der ersten Stunde, eingerichtet von einem Sammel-Zwangscharakter. Mehr vielleicht ein Museum als eine Bar. Unglaubliche Mengen an Deko, Zinnsoldaten, Spielzeug, Bilder, ein seriös-irres Abendlokal in gedimmtem Licht. Natürlich spielt man hier auch Billard. Publikum größtenteils in den Sechzigern geboren.
http://barpavilhaochines.blogspot.co.at/

 

NACHTLEBEN / CLUB

Clube Ferroviário, Rua de Santa Apolónia 59; Boite, Arte e Entretimento, also saufen, Kunst und Unterhaltung. Riesenterrasse mit Bühne und Blick auf den Fluss, innen noch einen zweiten Dancefloor. Küche eher schwachbrüstig, nur im Sommer zu empfehlen.
www.clubeferroviarioblog.com

LOCATION
Ritz Clube, Rua Glória, 57; der „Lisbon Bohemian Club since 1908” zog immer Intellektuelle an, war ein altes Varieté. Letztes Jahr eröffnete er neu und ist nun eher auf der Bobo-Ebene angelangt. Wenn gerade keine Veranstaltung stattfindet, hat die Weinbar geöffnet. Vorsicht, späte Ausgeh- und späte Öffnungszeiten in der ganzen Stadt. Mitternacht ist noch nichts los.
https://www.facebook.com/RitzClube

MUSEUM
Museu do Fado, Largo do Chafariz de Dentro 1; Eine einleuchtende Theorie besagt, dass Portugal ohne den traurig-melancholischen Fadotönen niemals über die langen, dunklen Zeiten der Diktatur hinweggekommen wäre. Im Fadomuseum bündelt sich die fast 200-jährige Geschichte dieser eindrucksvollen Schwester des Wienerlieds. Logisch per Audio Guide zu besichtigen.
www.museudofado.pt

SHOPPING / WARENHAUS

Pollux, Eingänge über Rua dos Fanqueiros 276 und Rua da Madalena 251, das erste der mondänen Warenhäuser in der pombalinischen Baixa (Unterstadt) und schon allein deshalb eine Sehenswürdigkeit. Das 1936 eröffnete Gebäude wirkt auf tolle Art aus der Zeit herausgerissen und lässt das Konsumverhalten einer anderen Zeit auf 5.000 Quadratmetern und neun Stockwerken erahnen. Oben ein kurioses Café mit gutem Ausblick.
www.pollux.pt

SHOPPING

A Vida Portuguesa, Rua Anchieta 11, ein Design-Vintage-Emporium, das ausschließlich portugiesische Marken führt. Olivenöl, Lavendel, Sardinen, Schreibblocks, Nähzeug, Schokolade, Senf – eine Mischung aus Feinkost, Drogerie und Manufaktur. Wurde vom Time Out Lisboa in die Liste der originellsten Läden des Landes aufgenommen. „Diese Produkte sind unsere, diese Produkte sind wir“, steht im geschäftseigenen Manifest.
www.avidaportuguesa.com

FRISEUR
Cabeleireiro WIP – Hairport Lisboa, Rua da Bica Duarte Belo 47-49 (am Elevador da Bica); seit einem knappen Jahrzehnt betreibt die Vorarlbergerin Sabine Pawlik den wunderbaren In-Friseur Hairport unterhalb des Bairro Alto, direkt am gelben Elevador da Bica. Hier kann man einfach hineinschneien, dann wird das Terminbuch gezückt, oft ist dann in den nächsten Stunden oder Tagen ein Slot frei. Pawlik und Mitarbeiterinnen nehmen sich Zeit und machen aus Ihnen was Großartiges. Man muss denen nur vertrauen.
www.hairport.pt

material parque

Oder sie gehen zum Parque Eduardo VII. Das ist dieser viel beschriebene, aber selten begangene schräg nach oben verlaufende Park … Vom oberen Aussichtspunkt liegt Lissabons Innenstadt wie in einer Röhre. Links das Castelo, rechts das Bairro Alto, in der Mitte die Schusslinie über die Unterstadt hinweg auf den Tejo.