Halbinsel Krim – Ukraine

„Der Standard“, 10. September 2004


Martin Amanshauser war auf der Halbinsel Krim, fand mehr als Krimsekt und Kaviar vor, atmete eine Heilbrise, die schon Gagarin erfreute, und bekämpfte seine Ängste in einer Roten Höhle.

Hakle Feucht am Gipfel

Auf der Promenade von Yalta treffen sich die Schönen, die Allzuschönen, die Möchtegernschönen, die mit viel, die mit wenig Geld, die mit der teuren und die mit der misslungenen Zahnreparatur. Knapp bekleidete Frauen von Typ Supermodel, an die zwei Meter groß, halten Männer mit ärmellosen T-Shirts vom Typ Putin-aber-Muskeln-bis-zum-Kragen am Genick. Das alles im Schatten der Traumfabrik: ein Fotostudio unter freiem Himmel. Man lässt sich gegen Entgelt als Wilder auf seiner Maschin ablichten, bereit steht die Harley Davidson. Daneben hängen Gewänder, um in die Rolle des Emir Tamerlan oder des Zaren zu schlüpfen.

Yalta auf der Halbinsel Krim ist das Punta del Este der Ex-CCCP. Und genauso wie der Sommerwahnsinn der uruguayischen Vergnügungsstadt mehr Argentinien als Uruguay enthält, enthält das ukrainische Yalta sehr viel Russland und kaum Ukraine. Der echte Putin, jener ohne Muskel-T-Shirt, jener, von dem man in Yalta Plastikmasken kaufen kann, der hätte wie der Großteil der Einwohner nichts dagegen, wäre die Krim russisch. Immerhin war sie einst Zugang zum Schwarzen und zum Asowschen Meer. Doch die lokalen Probleme sind andere – Tataren, etwa 15% der Bevölkerung, fordern vehementer denn je Mitsprache. „Die werden immer mehr, die Tataren“, meinen die Taxifahrer.

Die Prachtstraßen der Hauptstadt Kiev, rings um die quirlige Wochenend-Fußgängerzone „Khrestschatyk“, sind über tausend Kilometer entfernt, die klassische Ukraine, Chernivzi (Tschernowitz) und L´viv (Lemberg) noch einmal so weit weg. Der von der Fläche her zweitgrößte Staat Europas mit seinen 50 Millionen Einwohnern bemüht sich um den touristischen Anschluss.

Die Krim erinnert an die Riviera: das Mittelmeerklima, das dunkelblaue Gesicht eines sauberen Meeres, die Kiesel- und Steinstrände, die kargen Felsen im Hintergrund. Nur ist alles dichter gedrängt, dramatischer. Im Nacken von Yalta befindet sich der Hochfelsen Ai Petri. Auf dem dreißigminütigen Fußmarsch vom Seilbahn-Ausstieg zum Gipfel wird eine ukrainische Variante des Bergsteigens praktiziert, eine Verhöhnung jeder einzelnen Regel des alpinistischen Glaubenskanons: Die enthusiastische Strandkarawane erscheint in Sandalen, Stöckelschuhen, teilweise bloßfüßig, in knappen Bikinis, mit rot gebrannten Kugelbäuchen.

Auf 1.300 Metern steht an Stelle eines Gipfelkreuzes ein mit Stofffetzen behängtes Holzkonstrukt. Hier werden Herzenswünsche eingelöst. Notfalls reicht ein Hakle Feucht, das im warmen Wind flattert, umschwirrt von tausenden Marienkäfern, die auf den Achsel-Schweißflecken landen und unter den Fußsohlen knirschen. Am Ai Petri liegt Fleisch am Grill, Lammfleisch-Plow brutzelt in Woks. In Polsterlandschaften sitzen die Gäste vor tatarischen Speisen und Borschtsch.

Beim weißen Rechteck in der Fels- und Waldlandschaft handelt es sich um den Liwadier-Palast – im 19. Jahrhundert legte die Zarenfamilie ihre Sommerresidenz auf die Krim. Im Februar 1945 fand hier die Konferenz von Yalta statt, in der Churchill, Roosevelt und Stalin Europa neu ordneten und die Gründung der UNO in die Wege leiteten. Zur Besichtugung steht der erste aller „Runden Tische“ – mit Nachbildungen der damals beteiligten Möbel, plastikgepolsterte Küchensessel für die drei Haupthelden, Holzstühle für ihre Minister und Generäle.

Eine frische krimische Brise weht durch die ganzjährige Kursaison. Sie hat nicht nur Herrscher erfreut. In einem der Sanatorien erholte sich Jurij Gagarin, nachdem er am 12. April 1961 als erster Mensch die Erde umkreist hatte. Dauer seiner Reise: 89 Minuten. Drei Mal so lang braucht die längste Obuslinie der Welt für ihre 85 Kilometer zwischen Yalta und Simferopol. Knapp vor der Hauptstadt biegt man ab zum großen unterirdischen Abenteuer, dem „Cave floating“ in der „Roten Höhle“.

Die sogenannte „Kizil-Koba“ bietet, so die Sprachregelung, „Wunder von außergewöhnlicher Schönheit“. Diese Schönheit muss hart erkämpft werden. Allein das Anziehen der Schutzschichten – roter Unteranzug aus Weltraummaterial, hellbrauner Latexanzug, orangefarbener Leuchtüberzug – dauert vierzig Minuten.

Ausstaffiert mit Helm und Helmlampe steigt man nun bis zum Hals in einem See und verlässt die „maintained area“, indem man zwei Meter Distanz unter einem Felsen durchtaucht, Gesicht und Hände im 8-Grad-Wasser. Auf der anderen Seite hantelt man rücklings, einer Schnur entlang, durch den Fluss, bis man festen Boden kriegt zum Klettern – unterirdische Felshalden, Seen, Wasserfälle.

Eine Höhle bedient alle Ängste und Befürchtungen des Menschen, jeder kriegt seine persönliche Horrorvorstellung geliefert: Es ist eng, die Luft unfrisch, das Wasser hat Strömungen, entstanden soll sie noch dazu bei einem Erdbeben sein! Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb nützlicher Nachschub im Gefecht gegen die ureigenen Schrecken.

Wer Höhlentauchen scheut, wird vielleicht siebzig Kilometer südlich einen Vulkan besteigen. Dort erhebt sich der 150 Millionen Jahre alte Kara Dag aus dem dunkelblauen Meer. Sein Charakteristikum besteht darin, dass er gerade nicht wie ein Vulkan aussieht. Er lässt sich nach einer Bootsfahrt im Rahmen einer 5-Stunden-Wanderung zwischen Kaperngewächsen und wilden Pistazien erforschen.

An seinem Fuß liegt das Städtchen Koktebel, hier atmet alles den Sommer: Ab acht Uhr morgens strömen Besucher aus der Ukraine, Russland, Weißrussland und Polen an den Strand mit dem weißen Kiesel. Koktebel, ein Küstennest mit Disco- und Grillpromenade, verhält sich zu Yalta wie Jesolo zu Cannes – Krimsekt, Kaviar, Schaschlik, alles da, Koktebel ist unter Garantie genauso, wie man sich daheim am Sofa die gute alte Krim vorstellt.


Reisen in die Ukraine werden u.a. von der „Ukraine Cognita“ angeboten, die auch bei der Visabeschaffung (Einladung) hilft. Kontakt: 7 Zhylyanska St., Office 9, 01033 Kyiv, Ukraine. +38044-2209945, mission@ukrcognita.com.ua, www.ukrcognita.ua