Kapstadt bis Daressalaam

Give me my money

Mögen Sie Afrikakino, oder haben Sie den dringenden Wunsch, dass Menschen Ihnen zujubeln? 5.733 Kilometer in einem Luxuszug von Kapstadt bis Dar Es Salaam.

„Give me my sweets!“, ruft ein kleines schwarzes Dorfmädchen den blassgesichtigen Leuten zu, die sich beim Vorbeifahren zaghaft an den Zugfenstern zeigen. Doch die Blassen befolgen strikt die Regel, keine Süßigkeiten aus dem Fenster zu werfen. Sieht man von den negativen Folgen aus zahnärztlicher Perspektive und der fatalen Optik gönnerhaft-dilettierender Entwicklungshilfe ab, ist die Gefahr, dass eines der Kinder unter die Räder der Eisenbahn kommt, unverhältnismäßig groß.
Der dunkelgrüne „Pride of Africa“ transportiert 62 Personen vom Kap bis an die Ostküste des Kontinents. Tak-Tak, Tak-Tak, und im Kanon setzt das nächste Tak-Tak ein: das in Europa vergessene Geräusch aus einer nicht so lange entfernten Vergangenheit, die Eisenbahn von gestern. Nur ist dieser Zug grundsätzlich anders als die knallvollen afrikanischen Regelzüge. Ein Einzelticket kostet rund 50.000 mal so viel.
Der Südafrikaner, der den luxuriösesten Zug der Welt ins Leben gerufen hat, heißt Rohan Vos. Auf dem Foto, das er in die Kataloge drucken lässt, steht er hoch aufgeschossen hinter seiner sitzenden Frau, die ihrerseits einen sehr aufrechten Dalmatiner streichelt. Er selbst sieht ein bisschen (Ohren) aus wie Prince Charles. Rohan Vos ist der Erfinder von Rovos Rail. Das Konzept: Kauf und Renovierung heruntergekommener Waggons, Umbau in dunkelgrüne, innen holzvertäfelte Nostalgiewagen. Kauf des Bahnhofs „Capital Park“ am Rande von Pretoria. Das einst total verfallene Rangiergebiet ist heute ein viktorianisches Wunderwerk. Rohan Vos, ein Genie zwischen Liebhaberei und Sendungsbewusstsein, lässt auf seinem Privatbahnsteig Lunch servieren.
Die Flagship-Route führt von Kapstadt nach Dar Es Salaam. Dreimal jährlich chartert der Berliner Veranstalter „Lernidee“ den Kolonialchic-Zug, um deutsche Gäste durch Afrika zu fahren. Zuerst durch die südafrikanische Weinstraßenlandschaft, die karge Bergwelt der Großen Karoo. Mehrere Male pausiert der Rovos-Zug, so auch in Kimberley, beim größten je von Menschen geschaffenen Loch. Auf einem hängenden Stahlkonstrukt steht man etwas ratlos über dem „Big Hole“. Während des Diamantenrauschs vor dem Ersten Weltkrieg steckten hier die Glücksritter ihre Claims ab, 14 Millionen Karat Diamanten waren die Ausbeute. Weiteres Programm: zwei Nächte auf Lodges, fünf Game Drives plus eine Safari-Bootsfahrt über den botswanischen Chobe-Fluss. Und die Victoria Falls. Der Zug hält genau auf der Brücke zwischen Zimbabwe und Sambia, mitten in der Sprühgischt. Aufmerksame Zuhörer können auch hier deutlich eine dünne Stimme hören: „You have pen? You have football? Give me my football!“

Rovos vollbringt seine logistische Meisterleistung mit der Brechstange: Nur ein Teil der südafrikanischen Gleise sind elektrifiziert, deshalb benötigt man neben zwei hintereinander gespannten Lokomotiven von 2.300 PS und je 116 Tonnen Gewicht einen Kesselwagen mit einem Dieseltank von 28.000 Litern. Als vierter Waggon fährt der Stromwagen mit, in dem zwei Generatoren durchgehend laufen. Es folgt ein Storagecar mit 3.000 Liter Trinkwasser, 1.500 Liter Wein und 700 Klopapierrollen, um nur drei zentrale Verpflegungselemente zu nennen; dazu Tiefkühltruhen, eine Eismaschine und die mobile Wäscherei. Daran hängt der Staffcar für die Mehrzahl der 28 Mitarbeiter, die den Koloss am Mahlen halten. Schließlich folgt der Loungewagen, zwei Diningcars und Küchenwagen, bevor zwanzig Schlafwägen das wohnliche Herz konstituieren; am Ende der Panoramawagen. Berechnet man die Länge eines Waggons mit gut 22 Metern, hat die Eisenbahnschlange eine Gesamtlänge von einem halben Kilometer.
Die geräumigsten Suiten – mit Badewanne – bedecken die Grundfläche eines halben Waggons. Die kleineren Abteile haben immer noch Couchettegröße, plus Dusche im Nebenraum. 5.733 Kilometer Landschaft von der Couch aus – keine Afrikareise im engeren Sinne, sondern ein Afrikakino. Wer den Kontinent sehen, fühlen, riechen möchte, aber nicht unbedingt mit Händen, Bauch und Hintern berühren muss, liegt hier richtig. Keine Lautsprecherdurchsagen, sondern ein diskreter Gong, wenn Lunch und Dinner serviert werden, in intelligenten Portionen, denn es gibt kein Joggen zum Kalorienabbau. Solide Menus mit Saucenküche, guter Käse, teure Weine. Für die Reisenden in ihrer legeren Abendkleidung gilt All-inclusive mit Privatwäscherei. Die Suiten werden wie von unsichtbarer Hand in den perfekten Zustand gebracht: Unter ein gewisses Stilniveau lässt sich ein Rohan Vos nicht drücken. Eine Kreuzfahrt auf Schienen? Nicht so schlimm. Kein Captain´s Dinner, kein Frackzwang. Dafür jede Menge Tak-Tak, dazwischen überraschende Schläge, ungenau geschweißte Schienen, Tak-lrrck-Tak. Bis Livingstone regierte das europäische Afrika – danach beginnt das richtige, wilde. In diesem Afrika laufen die Kinder winkend, lachend und kreischend neben dem Zug her. Der kleine Junge vollführt mit seinen Händen Stopfbewegungen in Richtung des Mundes: „Give me my food!“

Innenwelt versus Außenwelt. In Lusaka, Hauptstadt Sambias, türmen sich auf beiden Seiten des Bahndamms Müllkippen. Pfiffe, Schreie, johlende Kindertrauben. Täuscht der Schein? Das dünn besiedelte Sambia hat gute Wirtschaftsdaten, und wer die Vororte von Mumbai kennt, macht sich keine Sorgen wegen ein paar Abfallbergen. Trotzdem: Keiner der Reisenden bleibt unberührt vom krassen Unterschied zwischen innen und außen. Dieser Zug lebt den Gegensatz – das ist auch seine Problematik. Denn die Welten vermischen sich nicht. Der Veranstalter unterstützt eine kleine Dorfschule östlich von Lusaka. Der elitär geprägte Zugsbetreiber Rohan Vos betrachtet dieses deutsch-sentimentale Entwicklungshilfe-Treiben – heißt es – durchaus mit Stirnrunzeln.
Und wer könnte die Stirn tiefer runzeln als deutschsprachige Passagiere? Selbstverständlich sind sie die ersten, die grübeln: Ist es moralisch vertretbar, 18 Tage lang einen schmalen Weg zwischen Abteil und Speisewagen hin und retour zu laufen, in einem Raumschiff westlicher Dekadenz, das auf Schienen durch BNP-schwache Länder rattert? Die Frage impliziert den Mythos, dass ausnahmslos der individuelle Pionier Recht und Chance auf genuine Erlebnisse habe. Die Passagiere des „Pride of Africa“ stehen so gar nicht in symbiotischen Austausch mit der Realität Afrikas, doch ihr Beitrag mag am Ende nicht ganz anders bemessen sein als jener der arroganten, braun gebrannten Rucksackpärchen, die sich beim ersten gröberen Durchfall von Mastercard ausfliegen lassen.
Zurück ins Abteil. Man kann das Rollo öffnen, draußen warten schon die Zuseher. Man kann winken wie der Papst – und zurückgewunken kriegen. Man beobachtet an den Bahnhöfen mit Schaudern die Kinder, die unter dem Waggon durchkrabbeln. Man öffnet das Fenster und merkt, wie das königliche Wappen des Zugs einen kleinen Jungen nachdenklich macht: „Are you police?“

Weiter im Film: Sambia, das ist der vielfarbige Miomba-Wald, ideales Elefantenfutter, doch Elefanten gibt es keine mehr. Durch das Frühjahr treiben rote Blätter, braune sind noch übrig vom Herbst. Hier und da, verursacht durch Selbstentzündung, ein Flächenbrand, der jedoch den größeren Büschen und Bäumen nichts anhaben kann. Bei Kapiri Mposhi zweigt der Zug auf die Spur der rund 1.800 Kilometer langen Tansania-Zambia Railway (TaZaRa), die in den Siebzigern als chinesische Entwicklungshilfe gebaut wurde, um das sambische Kupfer zur tansanischen Küste zu bringen, und so die teuren südafrikanischen Häfen zu umgehen.
Tak-Tak und Tak-Krack, über die Betonschwellen mit den eingeprägten chinesischen Schriftzeichen: Das Buschland weicht einer Passstrecke durch den Großen Afrikanischen Grabenbruch, entlang von Steilhängen, über Brücken und durch 23 Tunnel nach Tansania. Kühe mit Kuhglocken, afrikanische Häuser, entgleiste oder stillgelegte Waggons, die als Wohnungen dienen. Und immer die vielen winkenden, rufenden Menschen, die wild begeisterten Kinder. Nicht ausschließlich gelten die Kontaktaufnahmen den Blassen, die Bahnlinie ist ein sozialer Strang. Dichte Vegetation, weiche Hügel und schroffere Felsen bei der Abfahrt in die Niederungen, und am Ende die Savanne des Selous-Wildreservats, Baobabwälder und Dornbüsche, dazwischen ein Affe oder eine Eule. Knapp vor Dar Es Salaam ein kurzer Stop an der Strecke. Ein halbwüchsiger Junge blickt den Zug an, und sichtlich kämpfen die Gefühle in ihm. Zuerst spuckt er aus, dann winkt er und ruft fröhlich: „Give me my money!“

 

DER ZUG
Der Berliner Bahn-Spezialist Lernidee Erlebnisreisen bietet dreimal jährlich deutschsprachig geführte Exklusiv-Charter mit Rovos Rail zwischen Kapstadt und Dar Es Salaam an. Die nächsten Termine 08.08.-25.08.13, 24.08.-10.09.13 und 27.02.-16.03.14. Die  Vollpension (inkl. alkoholischer Getränke) an Bord des Zuges), 5 bzw. 6 Hotelübernachtungen in First-Class-Hotels bzw. Safari-Lodges. Auf eine Strenge Kleiderordnung wird bei den Lernidee-Chartern bewusst verzichtet. Buchbar ist die Reise in Österreich in jedem Reisebüro bzw. direkt bei Seetour Austria, www.seetour-austria.at, +43/1/588 00-9441.

REISESTIL
An Bord eines Rovos-Wagens hat natürlich alles allerhöchsten Stil. Und weil man damit rechnen, dass es den Menschen kaum verbietbar ist, ihren Kopf nach Afrika hinauszustrecken, stehen Masken zum Schutz des Augenlichts bereit.

VERPFLEGUNG
Die tatsächliche Fusion aus Süd und Nord: das Gedeck im edlen Speisewagen mit einem hellen tansanischen Kukuruz aus einem tansanischen Bahnhof. Am Rand der Straße werden die Maiskolben gegrillt, und sie schmecken köstlich. Ob man sie ausnahmsweise in den Zug nehmen darf? Alle Kellner haben geschmunzelt.

ANDERE ZÜGE
Entlang der Strecke sieht man gelegentlich uralte Draisinen, abgestürzte Waggons – oder solche aus anderen Epochen, wie diesen Wagen der 3. Klasse, der private Erinnerungen hervorrief. (Die Salzburger Oma des Autors fragte in ihren späten Jahren: „Und wie fahrst du nach Wien? 3. Klasse?“)

LOKFÜHRER
Irgendwer muss ja die Arbeit tun. Beim Ausstieg im chinesischen Bahnhof von Dar Es Salaam stehen die Lokführer auf ihrer Plattform, und wer möchte, der kann klatschen.

BUSINESS
Entlang der Strecke das große Business in Form von Local Beer und das kleine in Form eines gottgefälligen Greißlers.