Istrien – Kroatien


„Der Standard“, 25. Oktober 2002

Martin Amanshauser besuchte das istrische Mirnatal, die einzige Trüffelgegend in Ex-Jugoslawien. Er traf das pensionierte Trüffelschwein Jack und die Familie Zigante mit ihrer kleinen Trüffelindustrie. In Istrien, Kroatiens größter Halbinsel, dreht sich alles um den knolligen, wertvollen, etwas schäbigen Pilz.


Das Herrchen gräbt alleine weiter

In San Mauro, einem kleinen Dorf am Hügel – man sieht bis zur Adria – wohnt Jack: Istriens einziges Trüffelschwein. Als Jungsau aus Frankreich importiert, half Jack (eigentlich Weibchen) einst, kroatische Trüffel aus der Erde zu schnüffeln. Zu Beginn stellten sich tolle Sucherfolge ein, doch schlussendlich war es bei der Familie Sinković einfach zu gemütlich. Jack, als Hängebauchschwein von Natur aus eher von fülliger Statur, litt bald unter massiven Gewichtsproblemen.

Seit einiger Zeit ist Jacks Karriere beendet. Niemand schafft es mehr, seine 110 Kilo Lebendgewicht auf die Rückbank eines Autos zu wuchten – und freiwillig lässt er sich nicht mehr auf ein solches Abenteuer ein. Erst auf minutenlanges Rufen des Herrchens (“Jack, corri!”) und nachdrücklichem Klappern mit dem Fressgeschirr schwartelt Jack im Schweinsgalopp herbei. Den Höhepunkt der Fütterung stellt das Zirkuskunststück dar, das Libero Sinković mit seinem Lieblingsschwein trainiert hat: Jack verweigert kopfschüttelnd das ihm angebotene Achterl Leitungswasser, schlabbert jedoch hocherfreut das Achterl Rotwein. Alles, was vom wertvollen Wein auf den Boden gesaut wird, schleckt Jack mit Rüssel und rosa Zunge behutsam vom Asphalt. Vielleicht stammt der edle Tropfen ja von einem der jungen kroatischen Weinbauern mit internationalem Ruf wie Elido Pilato in Vizinada.

Das waldige Mirnatal, westliches Istrien – einzige und wichtigste Trüffelgegend im Osten Europas. Die Preise des Luxuspilzes machen hier nur die Hälfte von den italienischen (“Alba-Trüffel”) aus, die Qualität ist identisch. Im Dörfchen Livade, nicht weit vom Burgstädtchen Motovun, stehen höchstens neuneinhalb Häuser, dazu ein Kriegerdenkmal, ein Greißler, und der Trüffelshop. Hier verkauft die Familie Zigante (sprich: italienisch: Gigante) eingeglaste Trüffelvarianten (Saucen, Trüffelöl, etc.) von Supermarktqualität – aber auch das echte, frische Grundprodukt: die schwarze Sommertrüffel (das Kilo ab EUR 100.-), vor allem jedoch die begehrte weiße Herbsttrüffel (das Kilo bis zu EUR 1.800.-) aus den umliegenden Wäldern.

Adriano Zigante ist Nachwuchschef des lokalen Trüffelgiganten. Sein Vater Giancarlo steht als Finder der weltweit größten Trüffel (1,3 kg) im Guinness Buch der Rekorde. Die Zigantes betreiben eine eigene Flotte von lizensierten Mitarbeitern mit Kleinwagen und hochsensiblen, hypernervösen Kleinhunden, die das Tal nach dem etwas schäbigen Pilz mit seinem erdigen, starken und gleichzeitig feinen Geschmack scannen. Trüffeln wachsen in sandigen Kalkböden, vorzugsweise zwischen den Wurzeln von Eichen, und ein erfolgreiches Suchteam benötigt Spürsinn, Geschick und Geistesgegenwart. “An manchen Tagen kommen die Sucher mit zwei oder drei winzigen Knollen heim”, erzählt Zigante Junior. “Oder sie finden gar nichts.”

Hat das Tier endlich die wertvolle Knolle entdeckt, wird es mit Keksen belohnt. Das Herrchen gräbt alleine weiter. Durch die Preisdifferenz gegenüber Italien gedeihen Schmuggel- und Räubersgeschichten. Die Italiener haben es lange Zeit verstanden, die istrische Trüffel als Jugo-Trüffelzu diffamieren, in Zeiten des Global Village wurde jedoch ausgerechnet von einem italienischen Institut der gnadenlose Beweis der DNA-Identität geführt. Fest steht jedenfalls, dass Trüffelgerichte in Istrien zu halbwegs realistischen Preisen zu kriegen sind.

Abnehmer sind etwa Lokale wie das Restaurant Marino bei Buje oder die Konoba Malo Selo. Die Trüffel wird über Nudeln gerieben, über Eierspeis, über Beefsteak – der Phantasie, worüber man Trüffel reiben kann, ist offenbar keine Grenzen gesetzt. Für Trüffel-Novizen und Trüffel-Prolos mag das Aroma zunächst fremd sein. Doch fest steht, dass es ganz außergewöhnlich ist.Außerdem ist natürlich nicht der Geschmack das Hauptkriterium für den Realwert der Trüffel, sondern Angebot und Nachfrage. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie teuer der Pfeffer einst in Europa war, wird das Trüffelerlebnis noch intensiver.

An der Stelle, wo die Mirna in die Adria fließt, liegt auf einer exponierten Mini-Halbinsel Novigrad. Hier treffen mediterrane Einflüsse auf den Osten, was sich auch bei der herzhaften Landküche zeigt. Im außergewöhnlichen (auch außergewöhnlich kleinen) Restaurant “Damir und Ornela” muss man vorbestellen, denn nur fangfrischer Fisch kommt auf den Tisch – die istrische Variante von Sushi: rohe Scampi und rohe Seezunge im Olivenöl-Zitronen-Gemisch.

Kroatien steht mittlerweile im Ruf des Landes, in dem eine Rasierklinge zwei Euro kostet. Mag sein. Aber wer das Trüffelschwein Jack beim Weinsaufen gesehen hat, der wird nicht mehr bezweifeln, dass es sich auf der größten kroatischen Halbinsel gut leben lässt.


Istrien – Adressen und Buchtipp:

· Agroturizam San Mauro, vl. Libero Sinković, San Mauro 157, bei Momjan.

· Weingut Elido Pilato, Vizinada-Lasici 16.

· Restaurant Marino, Momjan – Buje, Kremenje 96 b.

· Konoba Malo Selo, von Buje in Richtung slowenischer Grenze, nach rund 4 km in Fratrija auf einer Nebenstraße zur "Malo Selo".

· Konoba Damir und Ornela, Ul. Zidine-Via delle Mura 5, Novigrad.

· Literatur zur Ess- und Trinkkultur: Peter Lexe/Ferdinand Neumüller, Istriens köstliche Ziele, Verlag Carinthia 2002.