Curacao

2013

Vom schwarzen Gold zur bunten Fassade

Curaçao oder Kòrsou bietet niederländische Architektur, eine Sprache namens Papiamentu, Seepapageien und Thunfische, DJs, Rap und schwarze Musik, sowie dieses türkise Reisekatalog-Meer.

Große Schrift: Bon Bini! Manchmal auch in kleinerer Schrift auf Niederländisch: Welkom. Das liest man auf Transparenten, Teetassen, am Stadtplan, und irgendjemand hat es auch an diverse Wände von Willemstad gesprayt. Bon Bini, bei uns seid ihr willkommen! In diesem Land ist nämlich alles dushi – sweet – so der andere Ausdruck, an dem sich Curaçao berauscht. Dushi steht auf T-Shirts, in Auslagen von Konditoreien, oder auch in Form von überlebensgroßen, in Beton gegossenen Buchstaben am Wilhelmina Plein.
Dushi, großartiges Branding einer süßen Insel. Würde man jetzt noch ein Wappentier benötigen, böte sich der Leguan an. Auf Eidechsengebiet ist Curaçao unerschöpflich, von kleinen, durchsichtigen Geckos, die das Stück Erde im südkaribischen Meer als millionenfach-unruhiger Scheibenwischer überziehen, bis zu den halbmeterlangen Urechsen, die um den Hals eines Kerls in Downtown Willemstad hängen, damit sich das p.t. Kreuzfahrtspublikum mit dem Schuppenkriechtier ablichten lässt: Iguana Photos 3 Dollar. Vielen Dank, oder, wie man hier sagt, Danki.
Rund 150.000 Einwohner leben heute auf einer Insel, die schon vor sechstausend Jahren von Indianern besiedelt worden war, deren Nachfolger von spanischen Besatzern innerhalb weniger Jahrzehnte verschleppt und ermordet wurden. Bis ins 19. Jahrhundert blieb Kòrsou, wie das Land auf Papiamentu heißt, ein Sklavenumschlagplatz. Nicht weit vom Flughafen trägt ein Laden das Schild: „Bin-Bin-Bin-Autobanden“. Müssen die Terroristen nach Bin Ladens Ableben wieder ganz klein anfangen? Oder es ist doch nur eine KFZ-Werkstatt? Und vor allem: Ist die Karibik nicht sonderbar? Genau betrachtet wirken die Einwohner auf keiner der Inseln mit den türkisen Wassern und dem weichen Sand glücklich. Ausnahme Curaçao – mit seiner Mischung aus Selbstbewusstsein und Coolness, siehe holländisches Erbe. Alles irgendwie dushi.
Genauso dushi wirkt ihre Sprache, das Papiamentu (was wiederum nichts anderes als „Sprache“ heißt), eine Mischung aus Portugiesisch (liefert die Grammatikbasis, ebenso wie etwa zwei Drittel der Vokabel), Spanisch, Englisch, Niederländisch mit einigen afrikanischen Elementen. Ihre Erfolgsgeschichte, auch im Schriftlichen, begründet sich auf die Kolonialpolitik, die das Niederländische bis ins 19. Jahrhundert den Locals vorenthielt. Heute will man gegensteuern, doch zu spät, außer im Schulsystem dominiert Papiamentu alle Lebensbereiche. Wer Portugiesisch beherrscht, den wühlt Papiamentu wohl ungefähr in der Art auf, wie einen Deutschsprechenden Niederländisch irritiert. Beim Zuhören glaubt man, die Sprache grandios zu verstehen, doch je näher man hinhört, desto weiter entfernt sie sich vom Zugriff – und am Ende steht man ahnungslos da. Aber lebumai, never mind!

Wo liegt das grüne Paradies mit seinen Felsküsten und hübschen Sand- und Korallensträndchen überhaupt? Vor Venezuelas Küste – geologisch ein Teil des lateinamerikanischen Kontinents – schwimmen die ABC-Inseln in der warmen Badewanne: Aruba, Bonaire und Curaçao. Bevor sie 2010 still und heimlich von der Landkarte verschwanden, hieß dieser Zusammenschluss, vor allem bei Olympischen Spielen oder Denksportaufgaben von Relevanz, Niederländische Antillen. Curaçao ist nun Autonomes Bundesland innerhalb des Niederländischen Königreichs. Während Bonaire sich dem Mutterland anschloss, genießen Curaçao und Aruba die Vorteile einer eigenen Verfassung und Regierung. Gänzliche Unabhängigkeit war nie Thema.
Für Traumstrände und Tauch-Spots steht die Nachbarinsel Aruba. Curaçao, das von allem etwas hat, ist hingegen berühmt für seine Authentizität. Getaucht wird nach Wracks. Getanzt wird zum Tambú, dem „Curaçao-Blues“, und dem afrikanischen Tumba; der Séu aus der Sklavenzeit hat Schrittfolgen, mit denen man – heute wirkt es pikant – sich einst auf den Plantagen bei der Ernte die Zeit vertrieb. Die DJs im angesagten Stadtteil Pietermaai mögen es laut und weiß, doch Papiamentu eignet sich hervorragend zum Rappen. Treffen tut sich die egalitäre Gesellschaft beim Essen. Untertags bietet die Plaza Bieu, ein alter Markt, die Geschmäcker des Landes. Mit Käse überbackener Ziegenfleisch, Stockfisch mit Süßkartoffeln – und Stoba, das lokale Gulasch, schlägt sowieso alles.
Denn hier, wo inzwischen kaum noch Landwirtschaft betrieben wird, ist das Essen um Klassen besser als in der restlichen Karibik. Zyniker behaupten, das Öl sei einfach etwas frischer. Der Schottegat, eine Lagune, rings um die sich Willemstad ausbreitet, nimmt Tanker auf, um das schwarze Gold, meist aus Venezuela, zu raffinieren. Vor zwanzig Jahren lag ein leichter Ölgeruch und Ölfilm über der Stadt – heute undenkbar, wo sich Curaçaos zweifelhafter Ruf als Steueroase gefestigt und der Tourismus das Ölgeschäft längst überholt hat.

In Willemstad leben vier Fünftel der Bewohner. Das putzige Klein-Amsterdam im Zentrum besteht aus zwei Teilen, dem mondänen Punda, gegenüber von der verruchten „anderen Seite“, dem proletarischen Otrobanda. Die Grachtenfronten verbindet die Koningin Emmabrug, berühmteste Pontonbrücke der Welt. Diese Fußgängerbrücke klappt nach Absonderung von Glockensignalen an Otrobandas Ufer, sobald Kreuzfahrtsschiffe an die Anlegestelle oder Öltanker in den Schottegat müssen. In der brückenlosen Zeit pendeln zwei Gratisfähren zwischen Punda und Otrobanda. Die Häuserfronten dahinter glänzen in der Abendsonne, bunt sind sie, seit laut Legende ein niederländischer Gouverneur die Farbe Weiß nicht vertrug. Die Cafés am Ufer, von denen man das Spektakel betrachten kann, füllen sich mit Kreuzfahrtsgästen – Düsen sprühen ihnen feuchte Luft in den Kaffee, während die blauen Cocktails ganz und gar dushi aussehen. Der beliebte Orangenlikör mit dem Namen der Insel wird übrigens größtenteils anderswo hergestellt.
Ebenso dushi – aber nicht einheimisch – wollen die leichten Mädchen von Campo Alegre auf ihre Gäste wirken. Unter dem Zeichen eines überdimensionalen Kleeblattes, das plump in der Landschaft steht, hat die Regierung die einst allgegenwärtige Prostitution verbannt. Auf einem Areal mit etwa 150 Kabinen, ähnlich einem Schwimmbad ohne Pool, bieten diese Frauen, meist aus Kolumbien, ihre Dienste an. Jede hat eine Kabine für eine Saison gemietet und versucht nun, aus den Besuchern – alte, weiße Männer, junge, schwarze Gastarbeiter – ihre Freier herauszufiltern. Curaçao wirbt etwas verschämt mit dieser ungeliebten Sehenswürdigkeit, meist darf der stolze (und unrichtige) Zusatz nicht fehlen, dass die Innenstadt frei von sexueller Käuflichkeit sei.

Ein kleiner Hafenbereich in Westpunt, weit vom urbanen Trubel. Andruw, der Fischer, lässt sich nur entlocken, dass er „irgendwann zwischen 11 und 17 Uhr“ mit seinem nächsten Fang vorbeikommt. Er ist alleine unterwegs, wenn er den einen oder Seepapagei aus dem Wasser holt. Die sind fast zu schön, um wahr zu sein, wie aus dem Entwurf eines Jugendstil-Meisters. Seepapageien eignen sich nicht für den Export, zu viel Gräten, zu vulgär im Geschmack. Für Andruw sind sie auch Nebenprodukt, sein Jagdziel sind die küstennahen Thunfische von einem halben Meter Länge, die er im seichten Wasser ausblutet und auf Wunsch zu Steaks verarbeitet. Kommt man im richtigen Moment zwischen 11 und 17 Uhr, gibt es ein sagenhaft frisches Abendessen. „Hast du die Flieger gesehen?“, fragt Andrew. Er meint das wunderbare Schauspiel eines Schwarms fliegender Fische, die zu Tausenden nebeneinander durch die Luft springen, ein silbernes Brett an Frischfisch.
Hinter der Küste geht ein Wald von Kerzenkakteen über in die Primärvegetation über. Der Christoffel-Nationalpark entfaltet seine Schönheit in den Morgenstunden. Die Ersteigung des Christoffelbergs (375 Meter) sollte man möglichst früh unternehmen, um nicht in die knallende Sonne zu geraten. In einer guten Stunde und nach einer Kletterpartie über glitschige Steine, steht man an der Gipfelskulptur und genießt einen Rundumblick. Vorsicht, nicht auf Ringelnattern treten! Sie sind zwar harmlos, sollten sie aber zubeißen, lassen sie kaum mehr los und machen dazu gruselige Kaubewegungen. Deutlich zeichnet sich der Unterschied der sanften Südküste und der wellenschäumenden Nordküste ab. Windräder drehen sich im Morgennebel, Leguane hocken in den Baumkronen. Und wer Glück hat, kann in der ornithologischen Vielfalt den Vogel vom 10-Gulden-Geldschein ausmachen.
Der Park erstreckt sich bis zur wilden Küste, die Geckos, die sich auf der Straße sonnen, geben die Höchstgeschwindigkeit von ca. 20 Stundenkilometern vor – fährt man schneller, besteht die Gefahr, sie in Lesezeichen zu transformieren. Auf dem Küstenplateau liegen die Schalen abertausender winziger Meeresschnecken, selbst ein paar hundert Meter vom Meer entfernt. In den Höhlen dahinter zeugen Felsmalereien von einer Kultur, die keine Chance kriegte, zu überdauern. Die Kulisse, durch die jene Ureinwohner leichtfüßig liefen, die widerborstige Natur, ist an dieser Stelle von Veränderungen unbeeinflusst geblieben. Auch dafür ein großes Danki. Dushi!