Cabo Verde

2013

Vulkanischer Charme

Über den rauen Liebreiz von Sal, einer der trockensten Inseln der Welt – mit 350 Sonnentagen im Jahr.

 

Und wenn es ein paar Inseln mitten im Atlantik gäbe, mit präsentablen Sandstränden, fast regenfrei, wo das Meer warm bleibt, die Lufttemperatur kaum je überhitzt – und die nicht überlaufen sind? Gibt es ja! Ende des 15. Jahrhundert wurde die Inselgruppe von Cabo Verde entdeckt, über die Jahrhunderte allmählich, spärlich besiedelt. 1975 nach der Nelkenrevolution Portugals erlangte das Gebilde die Unabhängigkeit. Flughafengebühren, Krustentierexport und Zahlungen der Auslandsstaatsbürger (700.000 Kapverdianer leben anderswo) machten bis vor kurzem je ein Drittel des BNP aus, in den letzten zwei Jahrzehnten absolvierten die Kapverden jedoch den Crashkurs Tourismus, und im 21. Jahrhundert rückt das kleine afrikanische Land mit europäisch-brasilianischer Identität (500.000 Einwohner) nun ins Bewusstsein der Welt. Als sich die Fußballnationalmannschaft im Vorjahr erstmals für den Afrikacup qualifizierte und dort einige Favoriten schlug, lernte man das lockere, coole Cabo Verde auch international zu buchstabieren. „No stress“ ist die lokale Devise, auf T-Shirts mit der Nationalfahne gedruckt. Und es gibt tatsächlich nur einen einzigen Stress: Süßwasserknappheit.
Die ersten Schritte wagen Kapverde-Neulinge meist auf jener fast regenfreien Insel, die bei blasierten Reiseprofis ungerechterweise als die langweiligste des Archipels gilt, wohl weil sie bequem erreichbar (internationaler Flughafen) sowie fast ganz flach ist (der Entdeckungsname war „Llana“) und kaum Rätsel birgt: Sal, auf Portugiesisch, um sie nicht mit dem beliebten Natriumchlorid zu verwechseln, meist Ilha do Sal genannt, Insel des Salzes. Die winzige Scheibe im ewigen Blau, 30 Kilometer lang, 12 Kilometer breit, überzogen von Geröllwüste und Sand, muss sich dennoch nicht hinter Destinationen wie der Karibik verstecken: da tummeln sich Wrackbesichtigungsschiffe, Glasbodenboote, Haibeobachtungskähne und Hochseefischer.
An den Küsten herrschen Korallentaucher vor, Wasserschifahrer und die vom Nordostpassat begünstigten Kite-Surfer. In Santa Maria im Süden, mit weitläufigen Stränden, an denen sich ein knappes Dutzend Hotels aneinander reihen, verlaufen sich die Badenden zwischen Dünen und Brandung – große Natur. Noch in den Achtzigern war Sals Infrastruktur minimal, in den urbanen Zentren gab es täglich drei Stunden Strom, die Hotels liefen auf Generatoren. Doch heute fließt Elektrizität und – teuer erzeugtes – Wasser.
Santa Maria, 15.000 Einwohner, wirkt zunächst so gar nicht wie ein Traumstädtchen. Ein bisschen Kolonialflair, viele Leerflächen. Kleinläden für Kleidung und Ramsch Kleidung wachsen aus abenteuerlich zusammengestückelten Häusern. „Hello my friend, come from where? Visit my shop. No stress! Australia my favourite country.” Die Bewohner betrachten das Geschäftsgebaren mit versteinerten Mienen – die Verkäufer kommen vom 460 Kilometer entfernten afrikanischen Festland und sprechen meist nicht einmal das lokale Crioulo: „Ein Kapverdianer würde niemals einen Passanten ansprechen, um ihm etwas zu verkaufen!“ Am besten, man ignoriert die Shops und macht einen Abstecher ins Market Place Café, wo jeder einzelne Tisch die Form einer der kapverdischen Inseln hat. Oder man erholt sich am Café Cultural am Hauptplatz bei Cachupa, einem der Kargheit abgetrotzten Eintopfgericht aus Mais und Bohnen mit Fleischbeilage, je nach Menge „Cachupa pobre“ oder „Cachupa rica“. Wer Überschaubares liebt, wird Sal mögen: Neben den Stränden findet man die verschlafene Hafenstadt Palmeira mit ihrem Fischfabrikscharme vor – und in Flughafennähe die stresslose Hauptstadt Espargos (17.000 Einwohner). Heißt so, weil hier einst wilder, gelber Spargel wuchs. Hat anmutige Boulevards, Chinashops und ein öffentliches Tischfußballgerät. Mehr ist da nicht – no stress.
Wohin kann man nun von Sal aus reisen, um weitere Cachupa-Variationen zu testen? Nach Santiago, ins schwarze Herz des Inselstaats, mit der Hauptstadt Praia (130.000 Einwohner) – oder zum kolonial geprägten Hafen Mindelo auf São Vicente, Heimatstadt der jüngst verstorbenen Sängerin Cesária Évora. Weitere Punkte im ewigen Blau: Fogo, erstaunliche Vulkaninsel mit grauschwarzen Stränden, Brava, Blumeninsel, Santo Antão, mit Hochgebirge und grünen Tälern, São Nicolau, traditionell, Maio, sandig – und Boavista, eine Variation von Sal mit weniger Salz, dafür mehr Sand.

Das weitgehend niederschlagsfreie Sal fristete lange ein ärmliches Dasein. Weltumsegler Dampier schrieb 1683, Sal hieße so wegen „der großen Menge Salz, welche die Natur dort erzeugt“, verfüge über unfruchtbare Böden, etliche elende Ziegen und 5 oder 6 Bewohner. „Ein recht armseliger sogenannter Gouverneur sagte uns, dass innerhalb dreier Jahre kein Schiff dorthin gekommen sei.“ Das änderte sich, als 1833 bei Pedra de Lume riesige natürliche Salzlagerstätten gefunden wurden, für die in Westafrika Bedarf bestand, wo man Fisch konservieren wollte. Bis in die Dreißiger Jahre wurde, in einem Krater von einem knappen Kilometer Durchmesser, einige Meter unter dem Meeresspiegel in großem Stil Salz abgebaut. Die hölzernen Stützen der Hängebahn (1922-1988), errichtet vom französischen Unternehmen „Les Salines du Cap-Vert“, sind fast unbeschädigt erhalten, die Talstation am Hafen zerfällt auf pittoreske Art. Über Pumpen eingeleitetes Meerwasser laugt die Steinsalzlager aus, durch Verdunstung wird Salz auskristallisiert – heute ist die Produktion jedoch fast zum Stillstand gekommen. Dafür kann man in einem der Salinenbecken baden. In diesem Toten Meer des Atlantiks sollte man Schweben im Wasser besser keinen Tropfen in die Augen kriegen. Untertauchen ist ebenso verboten wie unmöglich, denn die tiefer gelegenen Wasserschichten sind paradoxerweise brennheiß. Beim Café existieren öffentliche Duschen zur Entfernung der Salzkruste für einen Euro, wenngleich die Einheimischen von Waschungen abraten, weil sie als „gesund“ gilt.
Die bizarre schwarze Lava-Landschaft von Buracona, über eine Piste erreichbar, verweist deutlich auf die vulkanische Herkunft Sals. Das Panorama-Restaurant – einziges Gebäude weit und breit – hat jüngst geschlossen, zeigt schon Zeichen des Verfalls. Vorwitzige Reisende baden im lieblichen Naturbecken. Doch die Einheimischen warnen jetzt doch vor Stress: Ein Deutscher und ein Franzose sind in den letzten Jahren von höheren Wellen, die hier ohne Vorwarnung heranbrausen, ins offene Meer gezogen worden, ohne Wiederkehr.
Gefahrloser ist es wohl, einen Blick in die Schlucht zu werfen, wo die Vormittagssonne in schrecklicher Tiefe das „Olho azul“ entstehen lässt, ein türkises Lichtauge von befremdender Schönheit. Aber aufpassen, Deutsche, Franzosen, alle! Hier in Buracona befinden wir uns noch nicht im Mainstream-Tourismus, die Schlucht ist völlig ungesichert. Als total gesichert würde Betrachtern hingegen ein paar Kilometer weiter die Existenz dieses riesigen Sees am Horizont erscheinen, der sämtliche Wasserprobleme Sals lösen würde – doch es handelt sich um eine Fata Morgana, die sich im Rahmen einer Jeeptour ans vermeintliche Ufer zusehends auflöst. Die Kapverdianer führen ihr Naturphänomen mit resignativer Ungläubigkeit vor. Kein wirkliches Wasser? No stress!

 

Flug & Unterkunft: Sal auf den Kapverden wird im Jänner 2014 zweimal von Gruber Reisen direkt angeflogen (08.01-15.01.14 ab Klagenfurt und 15.01-22.01.14 ab Graz, via Neos Air, 06:50 Stunden Flugzeit), Info Telefon: 0316 7089-6811, An/Abreise: Erstmals Direktflug ab Graz und Klagenfurt mit Neos Air in 06:50 Stunden. Hotels: 4-Sterne Clubanlage „Vila do Farol“ unter italiänischer Leitung, am  Strand, 2 km von Santa Maria. Oder das 5-Sterne Luxushotel „Melia Tortuga Beach Resort & Spa“ am langen Sandstrand Algodoeiro. Angebot auf Basis Alles Inklusive.  www.gruberreisen.at

Restaurants: „Turifogo, Zum Fischermann“, kapverdianisches Essen, deutscher Chef, Rua Amílcar Cabral, schräg gegenüber der BCA-Bank vor dem Pirata, in Santa Maria; Américos, wunderbare Terrasse, Rua 1 de Junho, Santa Maria; „Salinas“, Fisch und Langusten, Rua 5 de Julho, Espargos; Café Cultural, Treffpunkt und Kleinigkeiten wie das Eintopf-Nationalgericht Cachupa, Praça Marcelo Leitão, Santa Maria.

Geld: [Scan Kapverdianischer Escudo] Portugal hat den Escudo aufgegeben, in Kapverde lebt er weiter. Allerdings ist er (ungefähr) mit dem Wert von 1:10 an den Euro gebunden. Auf Inseln mit Tourismus, wie Sal, kann man auch in Euro zahlen.

Alkohol: Es gibt zwei Arten von Grogue, den durchsichtigen, ein Billiggemisch, das geschmacklich Benzin etwas ähnelt, und den „neuen“, bräunlichen, ein respektables Zuckerrohr-Fabrikat.

Ausflug / Nebeninsel Boavista: Von Sal aus ist Boavista mit einem etwa 20-minütigen Flug zu den Tagesrandzeiten erreichbar, eignet sich also für einen Tagesausflug, den u.a. Barracuda Tours (www.barracudatours.com) anbietet.